Ego-Trip oder Entwicklungshilfe?
Der Auslandsaufenthalt liegt bei Schulabgängern im Trend: Zwei Freiwillige aus der Region berichten über ihre Erfahrungen.
Amelie Herberg
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Nach dem Abitur im vergangenen Jahr brach Melanie Seemann auf und arbeitete nahe der Hauptstadt Kampala in der German Secondary School. Eine vollkommen andere Lebensweise, eine andere Kultur habe sie dort kennengelernt und auch erfahren, wie direkt Afrikaner manchmal sein können. "You look fat ("du siehst fett aus") – das bekommt man in Uganda durchaus zu hören, ohne, dass es den Leuten unangenehm wäre", sagt Melanie. Auch einige Monate nach ihrer Rückkehr spricht sie immer noch mit Staunen über ihre Heimat auf Zeit.
Melanie Seemann wohnte bei einer Großfamilie, in der auch Schüler der German Secondary Schule untergebracht waren. 20 bis 25 Mitbewohner seien so schon an einigen Tagen zusammengekommen. Und nicht nur Melanie war manchmal verblüfft über die Eigenarten der Afrikaner, für ihre Gastfamilie war besonders eine Sache neu: "Ich habe gemeinsam mit einem anderen Freiwilligen mit den Kindern abends Gesellschaftsspiele gespielt, Monopoly und Uno zum Beispiel, das kannten die gar nicht und fanden es total super."
Ob ein Freiwilligendienst wie der von Melanie in Afrika, "Work and Travel" in Australien oder Au Pair in Amerika: Der Auslandsaufenthalt zwischen Abitur und Studium liegt bei Schulabgängern im Trend: Raus aus dem Elternhaus, rein die große weite Welt und herausfinden was man eigentlich will vom Leben – das ist das Ziel vieler junger Menschen. Das hat vor drei Jahren die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) dazu gebracht, das Programm "Weltwärts" ins Leben gerufen. Ein längerer Auslandsaufenthalt sollte so für alle Jugendliche möglich werden – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Außer 150 Euro, die über einen Spendenkreis finanziert werden sollen, entstehen für die Freiwilligen keine Kosten. Die ursprüngliche Rechnung des Ministeriums, jährlich 10 000 Freiwillige zu entsenden, wird wohl in naher Zukunft nicht aufgehen. Das "Weltwärts"-Budget wurde in diesem Jahr von geplanten 40 auf 29 Millionen Euro reduziert. Vielen Bewerbern, die eigentlich schon eine Zusage hatten, musste wieder abgesagt werden.
Melanie Seemann ist eine von 3525 Freiwilligen, die im vergangenen Jahr in die Welt gereist sind. Organisiert wird der Freiwilligendienst nicht vom Ministerium selbst, sondern über Entsendeorganisationen. In Melanies Fall war das der Trägerverein der German Secondary School selbst, der sie auf ihr Auslandsjahr in Uganda vorbereitete und eine Unterkunft organisierte. Wer es nach erfolgreicher Bewerbung in das Programm einer Entsendeorganisation geschafft hat, bekommt Unterstützung bei der Organisation, Vor- und Nachbereitung des eigenen Freiwilligendienstes.
Lukas Hensel aus Offenburg ist durch die Badische Landeskirche zu seiner Freiwilligen-Stelle in einem Kindertageszentrum in Argentinien gekommen. Der angehende Student hat dort mit Kindern gespielt, bei Workshops mitgeholfen, war zur Stelle, wenn Not am Mann war. "Das waren nie sehr verantwortungsvolle Jobs. Aber es gab immer etwas zu tun und zu helfen", sagt er über seine Arbeit.
Denn an einer Frage reiben sich viele Kritiker des Programms auf: Wie viel Verantwortung können und sollen frischgebackene Abiturienten in Entwicklungsländern übernehmen? Wer mit Anfang 20 von Deutschland nach Südamerika oder Afrika geht, womöglich zum ersten Mal länger im Ausland ist, dürfte es schwerhaben, dort direkt Verantwortung zu übernehmen. Und einfache Arbeitskräfte gäbe es in diesen Ländern schon genug, da brauche es nicht noch Freiwillige aus den Industrieländern. Ist "Weltwärts" also nur ein Selbstfindungstrip für Abiturienten mit Weltverbesserer-Drang auf Steuerkosten?
Lukas Hensel kann diese Vorwürfe nicht ganz entkräften: "Es hängt natürlich immer von dem Projekt ab, wie viel sich ein Freiwilliger einbringen kann. Natürlich können wir keine Entwicklungshilfe leisten, die Arbeit, die wir machen, kann eigentlich jeder mit einer normalen Schulbildung machen", sagt Lukas. "Ich kenne Freiwillige, die haben nur drei Stunden am Tag gearbeitet. Mein Projekt war so ausgelegt, dass wir immer etwas zu tun hatten."
Der Gewinn des "Weltwärts"-Programms wird nicht unbedingt vor Ort deutlich, sondern dann wenn die Freiwilligen zurück sind. Lukas Hensel beginnt im Herbst sein VWL-Studium, er will die finanziellen Zusammenhänge von Entwicklungspolitik besser verstehen lernen. Melanie Seemann macht eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Viele Freiwillige gründen nach ihrer Rückkehr Vereine, sammeln Spenden für ihre Projekte, tragen das Thema Entwicklungspolitik an ihre Unis, in ihre Freundeskreise. "Ich habe direkt vor Ort gesehen, wie arm viele Menschen sind und unter welchem Bedingungen sie leben müssen", erzählt Melanie Seemann von ihren prägendsten Erlebnissen in Uganda. Der Kulturschock sei am Anfang groß gewesen, sie habe deswegen einige Zeit gebraucht, um sich einzugewöhnen. Nach den sechs Monaten wäre sie aber am liebsten noch länger geblieben. Großes lässt sich in einem halben Jahr nicht bewegen. Kleine Dinge allerdings schon. Und wenn es nur darum geht, unter afrikanischen Kindern die Begeisterung für Gesellschaftsspiele zu wecken.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ