Die Welt von gestern ist die Welt von heute

Die Freiburger Immoralisten beginnen ihre Saison mit Ibsens "Nora" open air – und beschäftigen sich mit dem Ersten Weltkrieg.  

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-  | Foto: Chris Meiser
- Foto: Chris Meiser
Hendrik Ibsens Drama "Nora oder Ein Puppenheim" haben die Immoralisten schon einmal auf die Bühne gebracht. Vor sieben Jahren war das – und eine ordentliche Inszenierung indoor mit Kaminfeuer und Weihnachtsbaum. Jetzt ist alles anders: Nora faulenzt draußen im Garten an einem aufblasbaren Pool, es ist Sommer, die Tanne quietschrosa. Und Nora ist ein Mann: Jochen Kruß stellt sich mit Freuden der Rolle – während logischerweise sein Mann Helmer eine Frau ist: Lisa-Lena Tritscher ist aus Graz zu der freien Freiburger Theatergruppe gestoßen. "Wir hatten überhaupt nicht vor, die zentralen Rollen gegengeschlechtlich zu besetzen", erzählen die Theaterleiter Manuel Kreitmeier (Regie) und Florian Wetter (Dramaturgie, Musik) im Gespräch.

Aber bei der ersten Sprechprobe funktionierte die herkömmliche Rollenverteilung einfach nicht. Jochen Kruß entdeckte, dass er eigentlich für die Nora geschaffen sei – und Lisa-Lena Tritschler stürzte sich nach ersten Vorbehalten mit Leidenschaft in die Aufgabe, Noras Ehemann zu geben. Mit Travestie hat die neue "Nora"-Besetzung das Wenigste zu tun. Sondern damit, dass Herrschaftsverhältnisse nicht an Geschlechtszuordnungen gebunden sind. Man darf gespannt sein, wie das von den Immoralisten angerührte "explosive Gemisch" (Spielzeitvorschau) funktioniert (Premiere am 13. Juli).

Explosiv war die Situation auch auf dem Balkan im Jahr 1914, als in Sarajevo jene Schüsse fielen, die den Ersten Weltkrieg auslösten. Dass sich die Immoralisten dieser Situation und der verheerenden diplomatischen Reaktionskette auf der Bühne widmen wollen, hat eminent mit ihrem Verständnis als – nicht nur, aber auch – politischem Theater zu tun: Vor allem "Stammheim" ist da noch in bester Erinnerung. Nicht Nostalgie – natürlich nicht! – leitet das Ensemble bei seiner Spurensuche. Sondern der Blick in die Welt von heute, der für die Zukunft nicht unbedingt das Friedensreich auf Erden verheißt: Nationale und nationalistische Strömungen sind wieder gesellschafts- und mehrheitsfähig, Populisten schüren Ängste vor dem anderen, der angeblich der Feind ist. "Der Finger am Abzug", so der Kommentar von Kreitmeier und Wetter zu ihrer Produktion, "sitzt auch heute wieder erstaunlich locker".

Bei "Sarajevo" (Premiere am 5. Oktober) werden die Immoralisten zwei Stränge verfolgen: Der eine bezieht sich auf die Planung des Attentats auf den österreichischen Thronfolger durch serbische Nationalisten und Separatisten, die wie heute die Islamisten junge Männer ohne Ziele und Ideale als Selbstmordattentäter rekrutierten. Der andere nimmt die politischen Reaktionen in den Blick, denen Christopher Clark eine große historische Studie mit dem bezeichnenden Titel "Die Schlafwandler" gewidmet hat. Zweifellos eines der bisher ambitioniertesten Projekte der Immoralisten – wobei sich vor allem die Frage nach der theatralen Umsetzbarkeit komplexer historischer Prozesse stellt. Der Schuss, der die Welt veränderte, ist die dramatische und dramaturgische Klammer der Produktion.

Mit ihr wollen die Immoralisten unter Beweis stellen, wie konsequent sie die von ihnen schon ausgemessene Linie eines um die deutsche Identität kreisenden Dokumentartheaters weiter verfolgen wollen. Dass der Sound dabei eine wichtige Rolle spielt, versteht sich angesichts der produktiven Zusammenarbeit der Musiker Florian Wetter und Hannah Schwegler inzwischen fast von selbst.

Die beiden restlichen Inszenierungen der Spielzeit bewegen sich dann eher auf dem "üblichen" Terrain. An den erfolgreichen Kafka-Abend "Der Bau" knüpft eine Adaption von "Der Prozess" (Premiere 9. Dezember) an. Last but not least steht Arthur Schnitzlers Drama "Professor Bernhardi" auf dem Spielplan (Premiere 22. März 2018): ein Stück über Ausgrenzung – mit einem ganz großen Ensemble in der kleinen Spielstätte der Immoralisten. Aber auch dafür werden sie eine Lösung finden. Ganz sicher.

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