Medizingeschichte
Die unsterblichen Krebszellen von Henrietta Lacks retten heute noch Leben
Für ihren Beitrag zur Medizin hätte Henrietta Lacks mehr als den Nobelpreis verdient. Doch die US-Amerikanerin starb mittellos. Bei der WHO wurde ihr eine späte Ehre zuteil, aber ihre Familie will mehr.
dpa
Do, 21. Okt 2021, 20:02 Uhr
Gesundheit & Ernährung
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Lacks war 1951 mit Blutungen in die Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore gekommen. Ärzte stellten Gebärmutterhalskrebs fest. Sie starb trotz Behandlung wenige Monate später. Eine Gewebeprobe, die Lacks entnommen worden war, wurde aber zur medizinischen Sensation. Der Zellbiologe George Gey und seine Frau Margaret legten wie üblich eine Kultur an, doch anders als bis dahin starben die Zellen nicht nach kurzer Zeit ab. Lacks’ Krebs war so aggressiv, dass die Zellen sich alle 24 Stunden verdoppelten.
Die HeLa-Zelllinie – benannt nach den ersten Buchstaben von Lacks Vor- und Nachnamen – ist in Medizinerkreisen legendär. Sie wurde zu einem Grundpfeiler der modernen Medizin. Inzwischen gibt es andere Zelllinien, aber die HeLa-Zellen sind robust und deshalb weiter sehr begehrt. 50 Millionen Tonnen seien bislang produziert und erforscht worden, sagte WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan. Mehr als 75 000 Studien basierten auf der Forschung an HeLa-Zellen.
Mit ihnen seien der Polioimpfstoff entwickelt worden, jede Menge Medikamente gegen Krebs, HIV und Aids, Leukämie und Parkinson. Auch bei der Entwicklung der Impfstoffe gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 spielten HeLa-Zellen eine wichtige Rolle, sagte Swaminathan.
Firmen haben sich bestimmte Verwendungsweisen der Zellen patentieren lassen und damit viel Geld verdient. Der deutsche Krebsforscher Harald zur Hausen, ehemals Lehrstuhlinhaber am Institut für Virologie und Hygiene der Universität Freiburg, fand darin die humanen Papillomviren HPV16 und HPV18, die zur Entwicklung des HPV-Impfstoffs führten. Er bekam den Nobelpreis dafür.
Bei all dem wurde von Lacks oder ihrer Familie nicht gesprochen. Bis zu einer Ehrenzeremonie für sie bei der WHO dauerte es 70 Jahre. "Worte können nicht beschreiben, wie viel mir das bedeutet", sagte ihr Sohn Lawrence Lacks (87) in Genf bewegt. Enkel und Urenkel feierten den Moment, aber klar ist, dass die Familie bitter ist. Bekanntheit erreicht Lacks eigentlich erst durch den Bestseller "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks" der US-Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot 2010. Sie beschrieb dem Ärzteblatt damals den Ärger der Familie: "Auf der einen Seite (sind) die Zellen Henriettas, die so viel für die Menschheit getan haben und mit denen einige Firmen sehr viel Geld verdienten, und auf der anderen Seite sie selbst, denen bis heute das Geld fehlt, zum Arzt zu gehen." Rassismus habe eine Rolle gespielt: Die Afroamerikanerin Lacks war arm, Menschen wie sie wurden damals übergangen, ignoriert und nicht respektiert. "Henrietta Lacks wurde ausgenutzt", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus jetzt unumwunden. Ihr seien Zellen entnommen worden, ohne sie zu fragen. Sie wäre sicher froh gewesen, zu wissen, dass ihr Leid am Ende so viele Menschen gerettet habe, sagte Tedros. "Aber der Zweck heiligt nicht die Mittel."
Tedros schlug wie die Familie einen Bogen zur anhaltenden medizinischen Benachteiligung der Armen in der Welt. Zwar sei mit Hilfe der HeLa-Zellen auch der HPV-Impfstoff entstanden. Aber während Jugendliche in reichen Ländern damit problemlos geimpft werden, wird der Stoff in weniger als einem Viertel der ärmsten Länder angeboten.
Die Familie hat nun die HeLa100-Initiative ins Leben gerufen, die Lacks einmaligen Beitrag zur Medizin feiert und bekannt macht. "Wir wollen auch Gleichbehandlung in der Gesundheit für alle und soziale Gerechtigkeit fördern", sagte ihre Urenkelin Victoria Baptiste in Genf. Die Familie hat Anfang Oktober, am 70. Jahrestag von Lacks Tod, eine erste Klage gegen eine Biotech-Firma eingereicht. Sie wirft ihr vor, Geschäfte mit Zellen zu machen, die Henrietta Lacks in einem rassistischen medizinischen System ohne Zustimmung entnommen worden waren. Weitere Klagen gegen andere Firmen sollen folgen, wie Anwälte der Familie in Baltimore ankündigten.
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