Unterm Strich
Die deutsche Sprache coronisiert sich
Krisen bescheren der Gesellschaft neue Wortkreationen. Auch das Coronavirus hat die Sprache infiziert.
Mi, 20. Mai 2020, 8:46 Uhr
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Heute geht es bei den Abstandsregeln streng genommen zwar mehr um körperliche als soziale Distanz. Doch solche Unebenheiten ignoriert die virale Umgangssprache geflissentlich – genauso wie beim Homeoffice, das ursprünglich das britische Innenministerium bezeichnet. Aber Homeoffice klingt allemal moderner und weltläufiger als das biedere Heimarbeit.
Das Virus mag eine Affinität zum Englischen haben. Aber es stimuliert auch reihenweise Neuschöpfungen. Der vom Leibniz-Institut ständig aktualisierte Online-Wortschatz zur Krise listet bereits mehr als 200 Einträge auf – von Abstandslinie über Corona-Krise bis zum Zoomen. Sprachwissenschaftler werten solche Kreationen als Indiz, dass das Thema die Gesellschaft intensiv bewegt. Sie sind aber ebenso ein Ventil für Ängste und Wut. Manches knüpft an Bekanntes an: Das Kriseln etwa ist seit Jahrzehnten ein Begleiter der Moderne – von der Suezkrise der 1950er- über die Ölkrisen der 70er-Jahre und die Nahostkrise bis zur Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008. Zu guter Letzt mag auch die Corona-Krise nur eine Episode dieser Krisen-Chronik sein.
Andere Kreationen sind echt originell – vom Corona-Kilo, dem seuchenbedingten Kummerspeck, über Coronials, den in Quarantäne gezeugten Kindern, und dem Coronisieren, der Anpassung an den pandemischen Alltag, bis zu den Covidioten, die sich unangemessen verhalten. Von der Coronik, dem Dokumentieren der Krise, bis zum Eau des Coronne, den allgegenwärtigen Düften der Desinfektionsmittel, ließe sich nach dem Motto "Not macht erfinderisch" noch vieles hinzufügen. Ob es einer der Begriffe mal in den Duden schafft, ist zwar offen, für Unterhaltung sorgen sie derzeit aber allemal.
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