Endlager

Die Angst am Hochrhein vor dem Schweizer Atommüll

Die Schweiz ist Deutschland bei der Suche nach einem Standort für die dauerhafte Einlagerung des Atommülls um einiges voraus. Problem aus deutscher Sicht: Die Wahl fiel auf einen Ort direkt an der Grenze zum Kreis Waldshut.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Vor der Entscheidung über den Standort...intensiv das Erdreich der Nordschweiz.  | Foto: Nagra
Vor der Entscheidung über den Standort für ein Tiefenlager für atomaren Abfall erforschten Geologen intensiv das Erdreich der Nordschweiz. Foto: Nagra

In der Schweiz sind derzeit noch vier Atomreaktoren in Betrieb, drei davon im Kanton Aargau, nahe der Grenze zum Landkreis Waldshut. Aktuell wird darüber diskutiert, die auf 60 Jahre fixierte Laufzeit der zwei Reaktoren des AKW Beznau noch einmal um einige Jahre, bis 2032/33, zu verlängern. Der für Energie zuständige Bundesrat Albert Rösti (SVP) hat zudem einen Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomenergie ins Spiel gebracht. Allerdings kalkulieren die Planer der Atommüllentsorgung, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA), bislang nicht mit einem solchen Szenario. Dazu bräuchte es eine Gesetzesänderung – und ein zweites Tiefenendlager für Atommüll.

Der Bau eines ersten mit Stollen und Kavernen 800 bis 900 Meter unter der Erde ist in fortgeschrittener Planung. Voraussetzung für jeden Standort: Der Atommüll muss dort laut Planern offiziell "eine Million Jahre" bleiben, ohne Mensch und Umwelt zu gefährden – sowohl schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus Schweizer Reaktoren und aus Medizin, Industrie und Forschung als auch hochradioaktiver Abfall.

Die Schweiz hat sich für Tongestein entschieden

Doch wo soll so ein Tiefenlager gebaut werden? Die Schweiz hatte 2008 mit der Suche begonnen. 2011 blieben sechs Standorte im Rennen, einige Jahre später noch drei. Ursprünglich wurden vier Gesteinsarten untersucht, in Phase zwei hatte die NAGRA sich schon auf eine, das Gestein Opalinuston, festgelegt. "Der Opalinuston ist sehr homogen und hat einen sehr hohen Tongehalt von mehr als 60 Prozent. Das führt dazu, dass Radionuklide sehr stark daran haften" und das Tongestein eine Art Filter für die radioaktiven Schadstoffe sei, erklärt der Geoökologe Bastian Graupner, Sicherheitsanalyst beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI), das das Verfahren beaufsichtigt. Das Tongestein habe den Vorteil, "dass, wenn Risse entstehen, diese sich wieder schließen, denn Ton quillt mit Wasser auf". Länder mit anderen geologischen Voraussetzungen setzen auf andere Gesteinsschichten: die skandinavischen Länder zum Beispiel favorisieren Kristallingestein, Deutschland zieht drei Wirtsgesteine in Betracht: Salz-, Ton- und Kristallingestein.

Im September 2022 wählte die NAGRA Nördlich Lägern auf Gemarkung der Gemeinde Stadel (Kanton Zürich) als Standort und die acht Kilometer Luftlinie von Waldshut entfernte Gemeinde Würenlingen für den Bau eines Verpackungslagers für Brennelemente. In dem Ort im Kanton Aargau gibt es bereits ein atomares Zwischenlager.

Warum ist die deutsche Grenzregion der bevorzugte Standort der Schweizer Atomindustrie? Entscheidend sind geologische Voraussetzungen, versichern eidgenössische Experten und Behörden. Opalinuston durchzieht das Schweizer Erdreich vom Südwesten bis zum Nordosten, in den Voralpen befindet sich das Gestein in bis zu 5000 Metern Tiefe – viel zu tief für den Bau eines Tiefenlagers. "Sinnvoll bauen" lasse sich ein solches bis maximal 1000 Meter, sagt Philipp Senn von der NAGRA.

Bei einer Tiefe von 800 Metern soll das Risiko geringer sein

In einer Million Jahren müsse man mit mehreren Eiszeiten rechnen, sagt Geoökologe Graupner. Bei einer Tiefe von 800 Metern sei das Risiko geringer, dass Gletscher Material an der Oberfläche abtragen und das Lager irgendwann freigelegt werde, so Graupner. In einer solchen Tiefe sei man zudem vor Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen und Überflutungen geschützt. Und Studien belegen, dass ein Erdbeben in solchen Tiefen keine Bewegungen und folglich keine Schäden auslöst.

Nun hat die NAGRA nach etlichen vertiefenden Untersuchungen für diesen Standort das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch bei der Regierung eingereicht. Dieses umfasst 30.000 Seiten und wird bis 2027 auf Herz und Nieren geprüft. Nicht nur von Schweizer Behörden, sondern auch auf deutscher Seite vom beim Bundesumweltministerium angesiedelten Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base). "Das werden wir natürlich sehr gründlich machen", verspricht der neue Base-Präsident Chris Kühn.

Ende des Jahrzehnts will die Schweizer Regierung, der Bundesrat, entscheiden, anschließend das Parlament. Danach könnte bei 50.000 Unterschriften noch ein nationales Referendum folgen. Für Bau und Betrieb der Anlagen ist die Bewilligung zweier weiterer Gesuche vonnöten. Gegen diese ist – anders als bei der Rahmenbewilligung – der Klageweg möglich. Im Idealfall kann Nördlich Lägern im Jahr 2050 in Betrieb gehen.

Anwohner der Gemeinde Hohentengen im Kreis Waldshut fürchten radioaktive Strahlungen

Die 4000-Einwohner-Gemeinde Hohentengen im Landkreis Waldshut, Luftlinie zwei Kilometer von Nördlich Lägern entfernt, ist die nächstgelegene auf deutscher Seite. Deshalb soll die Region dort auch gleichrangig zu den betroffenen Schweizer Gebieten behandelt werden. Das Base ist berechtigt, eine Stellungnahme zum Gesuch abzugeben. Damit, betont Base-Präsident Kühn, ermögliche die Schweiz ihrem deutschen Nachbarn weit mehr, als völkerrechtlich vorgeschrieben sei. Eine Klagemöglichkeit ist damit aber nicht verbunden. Der Waldshuter Landrat Martin Kistler ergänzt: "Nördlich Lägern kann nicht der zweitbeste Standort der Schweiz sein, es muss der beste sein." Wenn er sich tatsächlich als der beste herausstelle, "dann tragen wir das auch mit".

Anwohner der Gemeinde Hohentengen im Kreis Waldshut fürchten radioaktive Strahlungen durch Lagerbetrieb oder Transporte – oder dass das Grundwasser kontaminiert werden könnte. Und wie sicher ist der Atommüll bei einem Flugzeugabsturz und vor Angriffen von Terroristen?

Geben soll es deshalb freiwillige Zahlungen für die Betroffenen. Diese "Abgeltungen" sind aber noch nicht ausgehandelt. Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sagt unmissverständlich: "Das Atomendlager hinzunehmen ist ein Beitrag, der gewürdigt werden muss." Damit spielt sie auf die Sorge an, die Schweiz könne an der nationalen Grenze die Grenze für Abgeltungen ziehen. Deshalb betont Walker: "Wenn es zu einer Auszahlung von Abgeltungen kommt, darf die Nationalität keine Rolle spielen. Ich appelliere an alle Beteiligten, eine frühzeitige verbindliche Festlegung über die Berücksichtigung des deutschen Grenzraums zu vereinbaren."

PDF-Version herunterladen Fehler melden

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
die Kommentarfunktion ist aktuell geschlossen, es können keine neuen Kommentare veröffentlicht werden.

Öffnungszeiten der Kommentarfunktion:
Montag bis Sonntag 6:00 Uhr - 00:00 Uhr


Weitere Artikel