Streit mit Versicherung
Als Baby verunglückt und behindert: Mutter der 26-Jährigen verklagt Versicherung
Lisa-Ann Georg ist seit einem Autounfall als Baby schwerstbehindert. 26 Jahre später hat ihre Mutter die Versicherung verklagt. Die zahle zwar, aber oft schleppend und nicht das ganze Geld.
sge
Mi, 15. Mär 2017, 17:54 Uhr
Schallstadt
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"Ich glaube, ich habe den Lkw kommen sehen", sagt Simone Kubiak. Kurz darauf wachte die damals 22-Jährige im Josefskrankenhaus auf, ihr Bruder, der hinterm Steuer gesessen hatte, lag noch vier Wochen im Wachkoma. Die erste Frage der Mutter lautete: "Wo ist Lisa?" Die Kleine hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, Blutungen im Hirn, einen Milzriss, eine halbseitige Lähmung und einen Wasserkopf. Lisa-Ann musste operiert werden und drei Monate in der Klinik bleiben.
Simone Kubiak sitzt am Küchentisch ihrer Wohnung in Schallstadt, ein aufgeschlagenes Fotoalbum liegt vor ihr, die Bilder zeigen die Mutter mit Baby auf dem Arm kurz nach der Geburt, ein paar Seiten weiter wieder Fotos aus dem Krankenhaus. Diesmal hat Lisa-Ann einen Schlauch im Kopf, ihre Haare sind rasiert.
Was damals in ihr vorging, kann Simone Kubiak nicht mehr sagen. "Ich war ein halbes Jahr im Schock." Sie selbst hatte einen Oberkieferbruch, Zähne waren herausgebrochen, ansonsten kleinere Verletzungen. Ihr Bruder habe eine Wesensänderung durchgemacht, sagt die 47-Jährige. "Ich war vor dem Unfall viel fröhlicher", bestätigt Hans-Christian Georg. Er muss lange überlegen, verliert sich in Details. "Auch das war vorher anders."
Der Unfall passierte auf der Elsässer Straße in Freiburg. Simone Kubiak saß auf der Rückbank neben ihrer Tochter, die in einem Körbchen lag. Georg hielt an einer Ampel, fuhr los, als sie auf Grün sprang. Ein Lkw krachte in die Seite des weißen Polos. Wie sich herausstellte, hatte der Fahrer des Lastwagens auf einen Stadtplan geschaut und die rote Ampel überfahren. Beim Prozess im Jahr drauf bekam der Unfallfahrer ein Jahr Führerscheinentzug und ein paar Tausend D-Mark Geldstrafe, erinnert sich der Bruder. Entschuldigt habe der sich damals nicht. "Er wusste wahrscheinlich gar nicht, was er angerichtet hat", sagt Simone Kubiak.
Lisa-Ann ist heute eine junge Frau. Sie hat eine Tetraspastik, kann Arme und Beine nicht richtig bewegen, sitzt im Rollstuhl. Sie lebt in der Christopherus-Gemeinschaft in Niederweiler in Müllheim, arbeitet dort in einer Werkstatt, ihre Mutter und ihre Geschwister wohnen in Schallstadt. Ein Treppenlift erinnert daran, dass Lisa-Ann manchmal zu Besuch kommt. 17 Jahre lang hat sich die Mutter zu Hause um sie gekümmert, viel Zeit für die zwei jüngeren Schwestern blieb nicht. "Bei der Pflege waren oft drei Leute gleichzeitig beschäftigt", sagt sie, meist kamen Nachbarn oder die Großeltern. Denn: "Ich wusste nicht, was mir zusteht." Das wisse sie auch heute oftmals noch nicht.
Seit nun 25 Jahren schlage sie sich mit der Versicherung herum, erzählt die Mutter. "Ich fühle mich, als müsste ich betteln." Einmal habe sie mehr als ein Jahr auf einen Rollstuhl gewartet, andere Dinge kämen gar nicht. Oft sind das Kleinigkeiten, für Lisa-Ann, die gerne liest und Filme schaut, sind sie ein Stück Lebensqualität. Die Mutter hätte für sie gerne ein Gerät, mit dem man Licht und Fernseher per Sprache steuern kann. Denn selbstständig das Licht ausknipsen, kann die 25-Jährige nicht.
Mutter Simone Kubiak
Simone Kubiak, die selbst bei einem Pflegedienst tätig ist, fühlt sich gerade in der Organisation der Betreuung oft allein gelassen, sei es, wenn die Familie gemeinsam verreisen will; oder das Christopherus-Heim wegen des Norovirus geschlossen hat. Damit "die auch mal sehen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen", hat die 47-Jährige die Versicherung verklagt.
Auch Lisa-Ann ist an diesem Tag nach Freiburg ins Landgericht gekommen. Ihr Rollstuhl passt gerade so durch die schmale Tür des Verhandlungszimmers, sie steuert ihn mit der rechten Hand über einen Hebel, muss immer mal nachjustieren, ihre Schwester hilft ihr dabei. Neben 4.000 Euro für den behindertengerechten Umbau ihres Autos fordert Kubiak 70.000 Euro Schmerzensgeld von der Versicherung. In den 90ern hat Lisa-Ann zwar schon einmal 350.000 D-Mark bekommen, aber "damals war die Entwicklung noch nicht absehbar", argumentiert ihr Anwalt Oliver Negele. "Man ging von einer kürzeren Lebensdauer aus." Das ließe sich schwer nachweisen, sagt Richter Andreas Ernst, der das Risiko auf Klägerseite sieht.
Die Parteien einigen sich schließlich auf 20.000 Euro Schmerzensgeld, die Versicherung will auch für den Fahrzeugumbau aufkommen. Richter Ernst schaut Lisa-Ann Georg an: "Mit Geld lässt sich ohnehin nicht aufwiegen, was Ihnen zugestoßen ist."
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