Der Protest wird weiblicher
In Russland gehen zunehmend Frauen gegen die angeordnete Mobilmachung auf die Straße.
Hannah Wagner
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. Die von Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung hat in Russland die größten Proteste seit Kriegsbeginn ausgelöst. In vorderster Reihe: Frauen. Das – und der Unmut ethnischer Minderheiten – könnte für den Kremlchef brenzlig werden.
300 000 Reservisten will Putin an die Front in die Ukraine schicken, um dort gerade erst annektierte Gebiete zu halten beziehungsweise zu erobern. Nur: Viele Russen sehen nicht ein, warum sie ihr Leben opfern sollen für einen Krieg, den sie nie wollten und der offensichtlich aus Kreml-Sicht alles andere als nach Plan läuft. Weil sich herumgesprochen hat, dass Männern bei einer Protest-Festnahme auf der Polizeiwache direkt die Einberufung droht, stehen auf den Straßen nun vor allem Frauen.
In Dagestan im Kaukasus kreischen wütende Mütter, Schwestern und Ehefrauen von Rekruten einen Polizisten so lange an, bis der einfach davonrennt. In Machatschkala, der Hauptstadt der muslimisch geprägten Region, erklärt eine Frau einem uniformierten Mann, niemand bedrohe Russland – im Gegenteil: Russland habe die Ukraine überfallen. Als der widersprechen will, übertönen umstehende Demonstrantinnen ihn mit einem Sprechchor: "Nein zum Krieg! Nein zum Krieg!" Auch dieser Polizist zieht unverrichteter Dinge ab.
Oft aber werden die demonstrierenden Frauen – ebenso wie Männer – brutal festgenommen, über den Boden zum Polizeibus geschleift, geschlagen. Bei den letzten landesweit größeren Protestaktionen waren der Bürgerrechtsgruppe OVD-Info zufolge mehr als 70 Prozent der festgenommenen Frauen. "Der Protest hat jetzt ein klar weibliches Gesicht", heißt es.
Bei einer Kundgebung in der sibirischen Region Jakutien ruft ein Pulk Frauen, der mehrere Polizisten tanzend eingekreist hat: "Nein zum Genozid!" Denn: Zwei Wochen nach Beginn der Mobilmachung zeigt sich, dass nicht gleichmäßig eingezogen wird. Gerade Gebiete, in denen viele ethnische Minderheiten leben, sind betroffen, wie Recherchen russischer Medien zeigen. So sollen in Jakutien 1,7 Prozent der wehrpflichtigen Männer von der Zwangsrekrutierung betroffen sein – fast doppelt so viele wie im westrussischen Kursk.
Auch das sibirische Burjatien zählt zu den Regionen, aus denen nur wenige Stunden nach Putins Fernsehansprache Ende September die ersten Videos von an die Front abtransportierten Männern auftauchten. Aktivisten sprechen von "ethnischen Säuberungen" und einem systematischen Ausrotten indigener Völker. Die Wut ist dort besonders groß, denn diese Menschen, die immer wieder dem Rassismus ethnischer Russen ausgesetzt sind, verstehen noch weniger als andere, warum sie für Putin sterben sollten.
Doch weit über Burjatien, Jakutien und Dagestan hinaus liegen die Hoffnungen vieler Kremlgegner auf einen Wandel in Russland nun bei den Frauen. "Frauen in Russland haben sich jahrzehntelang angewöhnt zu gehorchen, zu schweigen und nicht zu widersprechen", sagt die Sprecherin des inhaftierten Oppositionsführers Alexej Nawalny, Kira Jarmysch, in einer Videobotschaft. "Aber jetzt haben sie sich zum Schutz ihrer Männer erhoben und keine Angst, die Dinge beim Namen zu nennen."
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