Der Musterschüler mit dem Gespür für Knalleffekte
IM PROFIL: Philipp Lahm ist in seiner Karriere selten als Lautsprecher aufgefallen, außer, wenn ihm die Sache wichtig erschien.
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In Interviews nach Spielen kann Lahm mit leeren Worthülsen nahezu jedes Thema in die Belanglosigkeit reden. Spötter prophezeien ihm aufgrund dieser Fähigkeit eine zweite Karriere in der Politik. Aalglatt, nicht zu packen – so agiert Lahm selbst in kritischsten Phasen. Doch er kann auch anders. Immer wenn er das große Ganze, den Erfolg von Verein oder Mannschaft (und damit auch seinen eigenen) in Gefahr wähnte, setzte Lahm Akzente. 2009 beispielsweise, als der FC Bayern mit dem Trainerexperiment Jürgen Klinsmann krachend gescheitert war, attackierte er die Vereinsoberen in der Süddeutschen Zeitung vehement. Keine Spielphilosophie, eine schlechte Transferpolitik – Lahms Kritik war fundamental. Für ihn selbst, den Vorzeigeprofi, mündete sie in die höchsten Geldstrafe, die der Rekordmeister bis heute für einen seiner Spieler verhängte: 50 000 Euro . Doch seine gezielte Spitze hatte einen weiteren Effekt: Louis van Gaal wurde Bayern-Trainer, etablierte einen Spielstil und integrierte Nachwuchskräfte wie David Alaba und Thomas Müller in die Mannschaft. Der Grundstein für die Wende zum Besseren war gelegt, Lahms Vorstoß zumindest ein Auslöser dafür.
Auch in der Nationalmannschaft hat er etwas bewegt. Mit einer stillen Revolution entriss er im Vorfeld der WM 2010 Michael Ballack das Kapitänsamt. Die Zeit der Alphatiere war endgültig vorbei. Zumindest jener, die einen Führungsstil ohne demokratische Züge präferierten, die mannschaftlichen Erfolg ohne strikte Hierarchie (von oben nach unten) für undenkbar hielten. Zweifellos ist auch Lahm ein Machtmensch. Aber einer, der sich im Streben nach Erfolg lediglich im Notfall auf Egotrips begab, weil ihm stets bewusst war, dass das Spiel nur im Kollektiv funktionieren kann.
Es ist schwierig, sich den deutschen Fußball ohne Philipp Lahm vorzustellen. Gefühlt ist er ja schon immer da. Und er sieht – mal abgesehen von ein paar unbedeutenden Äußerlichkeiten – auch heute noch genauso aus wie im Jahr 2004, als die breite Öffentlichkeit erstmals auf ihn aufmerksam wurde. Irgendwie ist Lahm immer dieser kleine Musterschüler geblieben, dem der Makel des Strebers anhaftete, der sich gleichzeitig aber mit seiner Intelligenz wohltuend von der Masse abhob. Vor allem als Spieler. "Am liebsten würde ich Philipp Lahm klonen", hat Joachim Löw einmal über seinen WM-Kapitän gesagt. Kein Wunder, war und ist Lahm doch der einzige Außenverteidiger von Weltformat, den der Bundestrainer je trainiert hat. Aber nach 113 Länderspielen und dem WM-Triumph 2014 in Rio trat Lahm im Nationalteam ab. Auf dem Höhepunkt, wie es sich für einen wie ihn gehört. Die Suche nach einem adäquaten Nachfolger läuft bis heute. Für Pep Guardiola, in den Spielzeiten 2013/14 bis 2015/16 Coach bei den Bayern, ist Lahm schlicht "der intelligenteste Spieler, den ich je trainiert habe".
In den Augen von Hermann Gerland, so etwas wie Lahms Entdecker und Förderer, waren das keine besonderen Neuigkeiten. "Philipp Lahm konnte alles, dem musste ich nichts beibringen", erzählte der heutige Co-Trainer der Münchner einst im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Der war mit 17 schon perfekt. Ich habe oft gestaunt, wenn wir im Training mal neue, komplizierte Spielformen gemacht haben – Philipp hat sie immer als Erster verstanden." Lahm habe so ein sensationelles Gespür für das Spiel. Und für das, was sonst noch zum Geschäft gehört. "Der spürt automatisch, wann er sich zurücknehmen muss und wann nicht." Besser als mit diesem Satz kann man den Fußballprofi und Menschen Philipp Lahm wohl nicht beschreiben.
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