Der Frosch, mein digitaler Freund

SACHBUCH: Alexander Pschera plädiert für "Das Internet der Tiere" – um die Beziehung von Mensch und Natur zu verbessern.  

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Gibt fliegend Daten ab: Gänsegeier mit Sender   | Foto: dpa
Gibt fliegend Daten ab: Gänsegeier mit Sender Foto: dpa
Welches Ungeheuer verschlang "Shark Alpha"? Im Sommer 2014 schwimmt das Weiße Hai-Weibchen ruhig durchs Meer vor Australien. Plötzlich legt es einen Zahn zu. Offenbar flieht das Dreimetertier. Kurz darauf reißt irgendetwas die Hai-Dame sekundenschnell hinab in 580 Meter Tiefe. Gleichzeitig steigt ihre Umgebungstemperatur von acht auf 25 Grad. So warm ist es in Magen von Schwertwalen, die gleich als Hauptverdächtige für die Attacke gelten. Aber noch nie tauchten Orcas auf Beutefang tiefer als 260 Meter. Fiel Shark Alpha einem Artgenossen zum Opfer? Der müsste die enorme Länge von mindestens fünf Metern haben. Außerdem herrschen im Hai-Bauch nur laue Temperaturen um 18 Grad.

Der Philosoph und Kommunikationsexperte Alexander Pschera erzählt diese Geschichte in seinem Buch "Das Internet der Tiere". Der Titel meint Daten von Tieren, die mit einem Sender versehen wurden und so mit Menschen kommunizieren. Auch am Leib von Shark Alpha hing ein Chip, der Bewegungs- und Umgebungsdaten lieferte. Von Magensäften ausgebleicht, spült ihn Monate später die Brandung an Land. Forscher spekulieren, eine monströse Krake oder ein riesiger Urzeit-Raubfisch könnte Shark Alpha verspeist haben.

30 000 Tiere weltweit tragen schon Sender. 300 davon sind Weiße Haie und Tigerhaie vor der Küste Westaustraliens. Sobald sie über virtuelle Grenzlinien, so genannte Geofences, schwimmen, gehen Nachrichten per SMS oder Twitter raus. Parallel erscheinen Meldungen auf Monitoren, die an Stränden stehen. Künftig sollen solche Mobilitätsdaten von Tieren vor Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen, Erdbeben und Vulkanausbrüchen warnen. An den Hängen des Ätna grasen Ziegen, die deutsche Forscher mit Sendern ausgestattet haben. Pschera glaubt sogar, die Ausbreitung der Ebola-Epidemie in Westafrika wäre besser vorherzusagen gewesen, wenn man die Migration der Wirtstiere, wohl Flughunde, hätte verfolgen können.

Der Tierschutz jedenfalls profitiert von Senderdaten, vom Wissen um Wanderrouten, um Brut- und Überwinterungsgebiete. Als der Bestand des amerikanischen Präriebussards einbrach, fanden Forscher heraus, dass die Vögel in einem Gebiet Argentiniens überwintern, das mit Insektiziden belastet ist. Auch der "Problembär" Bruno, der 2006 Bayern in Aufregung versetzte, könnte laut Zoologen noch leben, hätte er Sender und Kamera getragen. Die Gefahr wäre berechenbarer geworden.

Auf Details wissenschaftlicher Projekte geht Pschera selten ein. Stärker beschäftigt ihn, wie das Internet der Tiere den Bezug zur Natur verändern könnte, den der Mensch verloren hat. Kinder fangen und studieren heutzutage keine Schmetterlinge und Eidechsen mehr. Im Biologie-Unterricht lernen sie Genetik statt die Merkmale heimischer Tierarten. Schutzbiotope vergrößern die Distanz, weil sie Menschen von Tieren fernhalten. Senderdaten könnten diese Beziehung wieder beleben, hofft der Autor: "Es entsteht ein neuer Dialog zwischen Mensch und Natur." Der Alltag einzelner Tiere werde transparent, sie werden zu Persönlichkeiten, zu Freunden. Was der Mensch kennt, ist er eher geneigt zu schützen.

"Will man der Natur nahe kommen, muss man sie berühren", findet Pschera. Vogelbeobachter hält er für "fundamental einsam gegenüber den Tieren", weil sie nur betrachten. Immerhin krabbeln sie frühmorgens durchs Unterholz, riechen den Wald, hören Knirschen, Knacken und Gesänge. Wie will Pscheras Internet der Tiere die Sinne bedienen? Seine Vorstellung, dass ein "Frankfurter Investmentbanker für einen Moment seinen neuen Porsche vergisst und sich im Internet mit dem Pfeilgiftfrosch anfreundet", erscheint ebenso weit hergeholt wie die Behauptung: "In Zukunft wird es auch Technologien geben, die es Tieren erlauben, (…) ohne menschliche Hilfe zu bloggen."

Trotz vieler Ungereimtheiten spricht Pschera wichtige Punkte an. Sind Natur und Technik gegeneinander gerichtete Konzepte? Welchen Zugang haben und wünschen sich Menschen zur Natur? Wie kann das Internet ihn verbessern? Manchmal verwundern die Ausgangspunkte seiner Gedankenketten. Mehr Einzelheiten zu Herkunft und Interpretation der Daten wären schön gewesen. Die Natur befindet sich im Rückzug, der Mensch nimmt ihr den Raum. "Den Weg zurück zur Natur kann es nicht geben", schreibt Pschera. Sein Buch wirft die Frage auf, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen könnte.
– Alexander Pschera: Das Internet der Tiere – Der neue Dialog zwischen Mensch und Natur. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2014. 186 S., 19,90 Euro.
Schlagworte: Alexander Pschera

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