Aus Angst vor Blutrache ziehen sich in Albanien hunderte Familien ins Gefängnis ihrer eigenen vier Wände zurück.
M arresh ist elf Jahre alt, aber von der Welt kennt er nicht viel mehr als sein Zuhause - ein düsteres Häuschen am Stadtrand von Shkodra, einer 85 000 Einwohner zählenden Stadt im Norden Albaniens. Der Vater hat es vor Jahren selbst gebaut. Ein Raum zum Schlafen, einer zum Wohnen, Essen, Kochen - fertig. Für Putz und Farbe hat es nicht mehr gereicht. Aus den nackten Mauern hängen offen die Stromleitungen, der Fußboden ist aus blankem Zement. Teppiche gibt es keine.
Marresh ist ein blonder, bleicher Junge mit roten Flecken im Gesicht. An die Sonne kommt er selten. Manchmal hockt er auf den Betonstufen vor dem Haus und schaut auf den winzigen Garten, in dem Wein und Zwiebeln wachsen. Manchmal geht er hinaus auf die Straße und spielt mit den Nachbarskindern Fußball. Doch weiter als ein paar Schritte darf sich Marresh nicht vom Haus entfernen. So sitzt der Junge meistens drinnen auf einem abgewetzten, braunen Sofa, guckt fern oder legt mit ...