Das Rotkehlchen ist Favorit bei der Wahl zum Vogel des Jahres

Zum 50. Mal wird derzeit der "Vogel des Jahres" gewählt – zum ersten Mal dürfen alle Vogelfreunde im Internet abstimmen. Ornithologen sind darüber nicht begeistert. In Führung liegt das Rotkehlchen.  

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Das Rotkehlchen kann nach Einschätzung...chschwalbe vom Thron verdrängt werden.  | Foto: Julian Stratenschulte (dpa)
Das Rotkehlchen kann nach Einschätzung der Wahlbeobachter nur noch von der Rauchschwalbe vom Thron verdrängt werden. Foto: Julian Stratenschulte (dpa)
. Noch bis Freitag, 12 Uhr, ist Zeit, um eine Wahl zu verhindern, die vielen Menschen am Ende leidtun könnte. Ausgerechnet der garstigste unter den Kandidaten liegt derzeit vorne, ein nachweislicher Rüpel, aufgeplustert und aufbrausend. Mit seinem adretten Äußeren, den schwarzen Knopfaugen und seiner nahbaren Art bezirzt er seine Wählerinnen und Wähler, dabei verbirgt er sein wahres Ich geschickt vor der Öffentlichkeit und schreckt auch vor Angriffen auf Menschen nicht zurück.

Nein, das Rotkehlchen darf nicht Vogel des Jahres werden. So viel Parteilichkeit muss an dieser Stelle erlaubt sein. Das Land hat einen würdigeren Repräsentanten der Vogelarten verdient, vor allem jetzt zum Jubiläum.

Zum 50. Mal kürt der Naturschutzbund den Vogel des Jahres, und zum ersten Mal stimmen nicht ausgewiesene Ornithologen über seine Wahl ab. Alle Vogelfreunde dieses Landes können im Internet ihre Stimme einem der zehn Vögel geben, die nach der Vorwahl übrig geblieben sind. Neben dem Rotkehlchen sind das Amsel, Feldlerche, Goldregenpfeifer, Blaumeise, Eisvogel, Haussperling, Kiebitz, Rauchschwalbe und Stadttaube, der überraschende Sieger der Vorrunde. Chancen auf den Sieg haben aber wohl nur noch Rotkehlchen und Rauchschwalbe.

Die diesjährige Wahl berührt die Menschen, insofern haben die Verantwortlichen schon einiges richtig gemacht. Trotzdem zeigt die Wahl, was passieren kann, wenn man sie der Basisdemokratie im Netz anvertraut. Die Kampagnen und der raue Ton sind da nur ein Merkmal, hinzukommt die leider sehr menschliche Tendenz zu bekannten, schrillen und niedlichen Vögeln, während die leisen und grauen übersehen werden.

Und so sind auffällig viele Vögel in der Stichwahl, die ohnehin jeder kennt, die hübsch klingen oder putzig aussehen, in Kinderliedern besungen und im Garten gezählt werden. Für seltene Vögel mit Namen wie Rotkopfwürger, Pfuhlschnepfe und Rohrschwirl kämpft niemand.

Den wahren Ornithologen ist dieser Makel natürlich nicht entgangen, viele professionelle Vogelkundler sind verärgert über die freie Wahl, hinter den Kulissen wird eifrig gestritten. Die Vorwahl sei von den Fans der Straßentaube gekapert worden, deren Kampagne ziehe den ganzen Wettbewerb ins Lächerliche, heißt es. Zudem hätten Vögel mit guter Lobby Vorteile, während andere an den Rand des Aussterbens gedrängt werden. Immerhin war die Wahl 49 Jahre lang ein Instrument, um einem Vogel oder seinem Lebensraum Aufmerksamkeit zu verleihen, der als besonders bedroht galt.

Kritisch sieht die Wahl auch Michael Schmolz. Der Ornithologe arbeitet bei der Staatlichen Vogelschutzwarte in Garmisch-Patenkirchen, einer Dienststelle des Bayerischen Landesamts für Umwelt, und koordiniert hier das Monitoring seltener Brutvögel. Als bundesweit selten gilt eine Vogelart, wenn von ihr weniger als tausend Brutpaare erfasst werden. Das sind in Deutschland 65 von 305 Brutvogelarten, die man derzeit im gesamten Bundesgebiet zähle, sagt Schmolz.

Das Monitoring sagt auch viel über das Befinden der Natur aus. Vögel sind wichtige Indikatoren für Umweltveränderungen. Verschwinden sie, lässt sich also früh Alarm schlagen. Und leider gab es in den vergangenen Jahren dafür immer häufiger Anlässe. Insofern hätte sich Michael Schmolz von den Verbänden eine festgelegte Auswahl von etwa dreißig Vögeln aus unterschiedlichen Lebensräumen gewünscht, die auf den Niedergang ganzer Populationen aufmerksam machen. Das wäre wichtiger denn je, den meisten Vogelarten geht’s schlecht. Das Hauptproblem des Vogelschwunds ist die intensiv genutzte Agrarlandschaft. Doch rückläufig sind die Bestände auch in Wäldern und Städten, einzig in den Feuchtgebieten blieben sie dank großer Anstrengung in den vergangenen 20 Jahren einigermaßen konstant, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Ob dem Rotkehlchen der Sieg noch zu nehmen ist? Vielleicht wäre seine Wahl doch keine so schlechte Entscheidung. Immerhin gilt es als ausgesprochen charakterstark und durchsetzungsfähig. Richtig aggressiv werden nur die männlichen Vertreter, in sehr wenigen Fällen enden Kämpfe untereinander mit dem Tod. Auch vor Menschen macht das Rotkehlchen keinen Halt, wie der bereits verstorbene britische Ornithologe Chris Mead am eigenen Leib spürte, als ein Exemplar den Mann mit dem orangenen Bart attackierte. Vielleicht sind das die Eigenschaften, die heutzutage gefragt sind, um zu überleben.
Schlagworte: Michael Schmolz, Chris Mead
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