Sachbuch
Das menschliche Bewusstsein der Sterblichkeit
SACHBUCH: "Der Wurm in unserem Herzen" – US-Psychologen untersuchen das menschliche Bewusstsein der Sterblichkeit und die Folgen.
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"Das Bewusstmachen der eigenen Vergänglichkeit" verschärfe die Ablehnung von Menschen, die unsere Werte nicht teilen oder gegen sie verstoßen. Das behaupten die amerikanischen Psychologen Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski in ihrem Sachbuch "Der Wurm in unserem Herzen". Sie gehen sogar noch weiter: Todesfurcht beeinflusse "buchstäblich alles menschliche Tun".
Das Trio beruft sich auf eine These des amerikanischen Anthropologen Ernest Becker (1924 – 1974): Hauptsächlich um seine Todesfurcht zu bändigen, versuche der Mensch, das Leben mit Inhalten und Sinn zu füllen. Solomon und Co. haben daraus die "Terror-Management-Theorie" entwickelt. Sie beschreibt, wie sich das Wissen um die Vergänglichkeit auf menschliches Verhalten auswirkt. Ein Vierteljahrhundert lang hat das Dreiergespann darüber geforscht. In "Der Wurm in unserem Herzen" präsentiert es seine Ergebnisse und Erkenntnisse. Die sind erstaunlich, die Folgerungen oft überraschend und meist stimmig. Teils aber geht das Trio zu weit.
Die drei Autoren schreiben sehr verständlich und meiden Fachjargon. Im ersten Teil des Buches erzählen sie von Versuchen – wie dem mit den Richtern – und von alltäglichen Begebenheiten. Im zweiten führen sie aus, wie Menschen seit der Vorzeit bis heute danach trachten, ihre Todesfurcht durch Religion oder monumentale Grabanlagen, durch Kinder, eingefrorene Zellen und andere Hinterlassenschaften zu überwinden. Teil drei geht auf Sonderfälle wie psychische Störungen ein.
Zwischendurch gibt es Exkurse über den Narzissmus oder darüber, wie Kinder dem Phänomen Tod begegnen: "Zwischen fünf und neun Jahren halten Kinder den Tod für vermeidbar, wenn man nur flink oder klug genug ist, sich nicht von ihm erwischen zu lassen." Clevere Märchenhelden überstehen ja die schlimmsten Gefahren unbeschadet. Und Jesus starb trotz Kreuzigung auch nicht wirklich.
Bei Erwachsenen verstärkt die Furcht vor dem Tod den Hass auf Fremde und die Wertschätzung für Gleichgesinnte. Solomon und Co. zeigen mit Versuchen, dass diese Reaktionen umso milder ausfallen, je größer die Selbstachtung eines Menschen ist. Diese sei "das Fundament unserer psychischen Stärke" und unser "Schutzschild" gegen Ängste. Um unseren Selbstwert zu steigern, ringen wir ständig darum, gesellschaftliche, religiöse oder kulturelle Vorgaben zu erfüllen.
Dazu haben Solomon und Kollegen spannende Tests angestellt. Doch sie beobachten, dass derzeit entscheidende Werte erodieren: Die Religion verliert an Bedeutung, die Regierungen an Vertrauen, das ganze System an Glaubwürdigkeit. Unmöglichkeit werde zum Maßstab – der Durchschnitt der Menschen kann viele Ideale nicht mehr erreichen, etwa was Schönheit oder Einkommen betrifft. Setzt sich das fort, sinkt der Selbstwert allgemein. Laut den Autoren verfallen dann mehr und mehr Menschen in Depressionen, betäuben sich mit Drogen oder wenden sich Randgruppen zu. Die Forschung bestätige, "dass geringe Selbstachtung mit der Tendenz zu Kriminalität und asozialem Verhalten einhergeht", so das Trio.
Das Buch liefert Erklärungsansätze für problematische aktuelle Gesellschaftsphänomene wie Fremdenfeindlichkeit und Extremismus. Andererseits verneinen die Autoren grundsätzlich die Möglichkeit, man könne rational mit der Furcht vor dem Tod umgehen: "Todesangst mag nicht vernünftig sein – aber wir sind es genauso wenig."
Weiter sagen sie zwar, dass der Selbstwert, den ein Mensch sich gibt, kulturell bedingt ist. Ihr Buch enthält sogar ein Beispiel, bei dem sich nord- und mittelamerikanische Studenten entgegengesetzt verhalten wie asiatische Kommilitonen. In Kulturen, deren Glauben Leben und Tod nicht so ausgeprägt gegeneinander stellt wie das Christentum, funktioniert die Terror-Management-Theorie nicht oder nur abgeschwächt. Amerikaner, die sich mit ihrem Tod befassen, finden Witze anschließend weniger lustig. Viele Asiaten lachen in der gleichen Situation lauter. Diese kulturellen Unterschiede lassen Solomon, Greenberg und Pyszczynski aber weitgehend außer Acht.
Trotzdem überwiegt der Spaß bei der Lektüre. Das Buch zwingt einen, sich auf milde Weise mit dem unausweichlichen Ende seines aktuellen irdischen Daseins auseinanderzusetzen, ohne Schrecken zu verbreiten.
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