Corona- Geschichten
Fünf BZ-Leserinnen und Leser erzählen, wie sie die Corona-Krise erleben – weshalb sie fast untergegangen wären und was ihnen Hoffnung gibt.
Ulrike Sals, 48 Jahre & aus Bad Krozingen
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C orona stellt unser Leben auf den Kopf und wird in die Geschichte eingehen. Doch diese Geschichte schreiben nicht nur Virologen, Experten und Politiker – sondern wir alle. Die BZ hat ihre Leserinnen und Leser nach ihrer ganz persönlichen Corona-Geschichte gefragt: Was nehmen sie mit aus der Krise? Was war ihr schwerster Moment? Und was hat ihnen Hoffnung gegeben?
Wow! Endlich fragt mich einmal jemand nach meiner Meinung. Ich bin Hochrisikopatientin. Mein Immunsystem ist wegen fortgeschrittener MS reichlich verpeilt, und meine Lunge ist wenig leistungsfähig. Bei einer Infektion habe ich gute Chancen auf die Intensivstation und dann auch auf künstliche Beatmung und Radieschen – von unten. Ich bin 48, erwerbsunfähig und sonst eigentlich lustig. Leute, wegen mir macht ihr das alles!
Nun mache ich also Selbst-Quarantäne. Hänge allein in meiner Wohnung rum. Wo die Zeit wie Kaugummi wird. Soll ich rausgehen und mich einer Gefahr der Ansteckung aussetzen? Oder soll ich drin bleiben, quasi in Watte gepackt – oder in eine Gummizelle, wer weiß das schon. Draußen fühle ich mich lebendig – und bin doch viel näher dem Tod als drinnen, wo ich mich als fast schon tot wahrnehme. Einsamkeit macht krank.
Manchmal sind die einzigen Menschen, die ich am Tag sehe, mein Pfleger und meine Pflegerinnen. Neuerdings kommen sie mit Mundschutz und einer Plastikschürze, die aussieht wie von Schlachtern getragen. Ich sage dann immer: "Wenn Sie jetzt noch eine Motorsäge anwerfen, dann weiß ich, was mein Stündchen geschlagen hat." Ich sage auch: "Ich bin behindert, ich darf das." Schließlich sei ich die erste Vorsitzende des Pfleger-Schikane-Vereins. Humor ist das Einzige, was hilft. Aber der vergeht mir zunehmend.
Weitgehend bewegungsunfähig im Rollstuhl kann ich im Groben nur den rechten Arm bewegen. Laut MDK, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, kann ich "überwiegend unselbständig" kochen. Allerdings ist so etwas reichlich sportlich zu sehen. Schlagen Sie mal überwiegend unselbständig ein Ei auf. Und wie wischen Sie das wieder weg, wenn fehlgeschlagene Versuche auf dem Fußboden landen?
Also gibt es meine originalen Mono(Pfannen)Gerichte oder liebe Freunde bringen mir einen Topf mit dampfendem Essen. Aber: Seit Anfang März kann niemand mehr zu mir kommen. Wann ist das endlich vorbei?
Mitte März bekam ich bei der Arbeit einen Anruf. Meine Omi. Sie sagte, dass wir sie vorerst nicht mehr besuchen dürfen. Sie lebte im Seniorenheim, wir wussten, dass das kommen würde. Zum Glück war ich gestern noch mal bei ihr, dachte ich. Ich hatte viel zu tun und fasste mich deshalb kurz: "Okay, Omi, mach dir keine Sorgen. Ich richte es Mama aus. Vergiss nicht, dass wir trotzdem immer an dich denken und dich lieb haben. Bis bald! Halte solange durch!" Wir verabschiedeten uns mit einem Luftkuss. Das waren meine letzten Worte an sie.
Wochen vergingen, bis eines Tages der Anruf kam, dass es ihr sehr schlecht gehe. Sie kam in die Notfallaufnahme. Besuche waren auch dort nicht erlaubt, Corona halt. Sie erholte sich und kehrte zurück ins Heim. Zwei Tage später das gleiche Spiel. Zuerst der Anruf, dann die Notfallaufnahme. Ein Déjà-vu. Diesmal konnten wir allerdings hin… um Abschied zu nehmen. Als wir kamen, war sie zwar da, aber reagierte auf nichts. Wie im Film tat sie ihren letzten Atemzug, gefolgt von einem durchgehenden Piepen. Omi war weg.
Tage später sah ich sie am offenen Sarg und sagte ihr immer wieder, dass es mir leidtäte. Ihre letzten Wochen waren geprägt von Einsamkeit, Depression und Leiden. Ich fühlte mich schuldig und suchte nach Vergebung. Ich sah sie an, sie sah friedlich aus. Das tat gut.
Seit Beginn der Corona-Zeit beschweren sich viele über die Ungerechtigkeit der getroffenen Corona-Vorgaben. Von den Überstunden, die unfreiwillig abzuleisten waren bis hin zur Maskenpflicht in einem doch so freien Land. All das war in meinen Augen nun Pillepalle. Ich habe sofort aufgehört, mich über irgendetwas zu beschweren. Ich dachte mir, dass nur meine Oma da oben das Recht hat, sich zu beschweren. Sie gehört nun zu den sogenannten indirekten Corona-Opfern, da sie aufgrund der Corona-Situation und nicht an Covid-19 selbst starb. Das heißt, wenn Corona nicht gewesen wäre…
Nun heißt es für uns, die Trauerphasen durchzumachen. Vom Leugnen über den Zorn, das Verhandeln und die Depression bis hin zur Akzeptanz. Das wird nicht leicht, vor allem das mit der Akzeptanz. Aber meine Omi wird mich dabei unterstützen, denn sie hat mir gezeigt, immer für alles dankbar zu sein. Für die Gesundheit, die Arbeit, die Familie, die Freunde, das Einkommen und das Essen, das ich habe. Alles andere sind Luxusprobleme. Schade, dass ich erst solch eine Erfahrung machen musste, um das zu erkennen.
Ich kann nicht leugnen, dass mich die Nachricht, dass alle Schulen schließen müssen, zunächst mit Freude erfüllt hat. In meinen Vorstellungen sah ich mich bereits mit meinen Freunden bei wunderbarem Wetter Tischtennis spielen und mit dem Fahrrad Schanzen springen. Ganz zu schweigen von den gemütlichen Vormittagen, die ich im Bett verbringen würde.
Doch die Realität zerstörte alle meine Träume! Vom ersten "Ferientag" an weckte meine Mutter mich erbarmungslos um acht Uhr, um halb neun wird seither gefrühstückt und ab neun Uhr muss ich Schulaufgaben erledigen.
Wenn ich mit brummendem Kopf um zwölf Uhr vom Schreibtisch entlassen werde, fällt mir wieder das Thema mit dem Kontaktverbot ein. Scheiße, kein Tischtennis, kein Schanzenspringen. Meine Mutter ruft: "Jan, bringst du bitte den Müll runter!" Yeah, ich habe einen Grund, aus dem Haus zu gehen. Mein Leben bekommt ganz neue Highlights!
Endlich, nach acht Tagen, haben meine Eltern mir erlaubt, mich mit einem Kumpel, dem es genauso geht wie mir, zum Fahrradfahren zu treffen. Doch selbst wenn wir über eine Schanze springen, ist die Stimmung getrübt.
Immer wieder muss ich an meine Großeltern denken, die leider beide herzkrank und über 80 Jahre alt sind. Würden sie das Virus bekommen, sähe es für sie vermutlich nicht gut aus. Aus diesem Grund habe ich sie seit Wochen auch nicht mehr besucht, denn ich möchte vermeiden, dass ich sie womöglich anstecke. Wir gehen für sie regelmäßig einkaufe. Ich lese in letzter Zeit viel mehr als sonst – und das ist kein gutes Zeichen. Heute habe ich drei Stunden gelesen … Die Apokalypse ist nah.
Meine Mutter hat Atemschutzmasken genäht und die kommen öfter zum Einsatz, als ich dachte. Aber ich frage mich, ob die etwas bringen. Im Grunde nehme ich die Situation ernst, doch manche Maßnahmen finde ich übertrieben. Hoffentlich ist bald wieder Schule. Ich muss mich dringend erholen.
Als 75-jährige Rentnerin beherzige ich folgende Weisheit: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Nicht mit den Kindern und Enkeln zusammen kommen zu können, ist zwar schmerzlich, aber man kann telefonieren, mailen oder Briefe schreiben. Und das mache ich. Meine beiden neunjährigen Enkelinnen bekommen jede Woche einen Brief von mir, schön altmodisch per Post mit einer schönen Briefmarke.
Darin erzähle ich ihnen, wie es war, als wir Großeltern Kinder waren. Zum Beispiel, dass auch der Opa wochenlang nicht zur Schule gehen konnte, weil diese durch einen Bombenangriff total zerstört war. Und dass die Oma als sechsjähriges Mädchen bei einem Verwandtenbesuch auf einem "Raschelbett" schlafen musste. Es raschelte, weil ein Leintuch mit getrocknetem Herbstlaub gefüllt war. Ein Erlebnis, das sie bis heute nicht vergessen hat. Auf diese Weise erfahren sogar die Kinder so manches, was bis heute nie erzählt wurde.
Einen schweren Moment in dieser Zeit? Nein, wir blicken optimistisch in die Zukunft und tun alles, um gesund zu bleiben. Diese Woche schreibe ich Brief Nummer 9 für die Mädchen, sie warten schon darauf!
Am Donnerstag, den 12. März 2020, tritt das schon seit Wochen unheilvoll über uns Menschen schwebende Coronavirus hautnah, nein herznah, in das Leben unserer Familie. Morgens um 6 Uhr reißt mich mein Mann unsanft aus dem Tiefschlaf. "Ich glaube, wir können nicht fliegen!"
Über Nacht haben sich die Informationen des Auswärtigen Amtes geändert: Einreise nach England erschwert, Ausreise fraglich. Meine Ohren wollen es nicht hören, mein Herz schon gar nicht. Seit Wochen fiebern wir diesem Besuch entgegen, um unsere Tochter in ihrer ersten Schwangerschaft zu erleben.
Der Flug ist noch nicht gecancelt. Über die Schweiz wäre der Flughafen Basel/Mulhouse noch zu erreichen. Ich will unbedingt fliegen, doch wir sind Risikopatienten. Das Herz sagt ja, mein Verstand sagt nein.
Die Absage bei der Tochter fällt schwer. Meine Stimme, um Festigkeit bemüht, zittert. Es ist lange still in der Leitung. "Am wichtigsten ist, dass euch nichts passiert. Unser Kind soll euch noch lange erleben können." Ich bin dankbar für ihre Gefasstheit. Unter Tränen packe ich die Koffer wieder aus, weine den ganzen Tag vor mich hin.
Zwei Tage liege ich apathisch auf dem Sofa. Wann werden wir uns wiedersehen? Wie sieht es im August aus, wenn das Baby auf die Welt kommt? Jetzt werde ich mit 71 Jahren zum ersten Mal Oma und bin ausgesperrt. Wird Englands Gesundheitssystem mit dieser Herausforderung fertig werden? Ich werde diese angstvollen Gedanken nicht los. Wir werden andere Formen finden, um das auszugleichen, was jetzt nicht mehr geht, versprechen wir uns.
Sehr verzögert werden in England erste Maßnahmen getroffen. Wo vor kurzem Boris Johnson noch kamerawirksam den Corona-Patienten die Hand schüttelte, gehen die Zahlen rapide hoch. Dann erkrankt er selbst. Ein bisschen Schadenfreude kann ich nicht unterdrücken. Inzwischen wäre auch unser Rückflug nicht mehr möglich. Es war eine richtige Entscheidung.
Mit den Kindern sind wir ständig im Austausch, bekommen Fotos vom wachsenden Bauch. Ein Ersatz für unseren Besuch ist es nicht. Ich verbiete mir, darüber nachzudenken. Dieses kleine Menschlein weiß noch nichts von dieser Welt, die im Moment so erschüttert wird. Meine Tochter geht tapfer mit allem um. Untersuchungen ohne Partner, Schwangerschaftsgymnastik und Geburtsvorbereitung nur online, ihre Impfung bekommt sie auf dem Klinikparkplatz. Unglaublich, aber zu ihrem Schutz.
Ich finde eine tote Amsel. Sie liegt mitten im Blumenbeet wie in einem Grab. Wir beerdigen sie und der Gedanke an Tod begleitet mich den ganzen Tag. Ich sitze auf meiner Bank und höre dem Geplätscher unseres Brunnens zu, sehe das Wasser, das den Kreislauf des Lebens widerspiegelt, lausche den Liedern der Vögel, spüre mein Herz klopfen, empfinde meine Sehnsucht zu den beiden, kämpfe mit meinen Tränen. Ich höre Esthers Wunsch: "Unser Kind soll euch noch lange erleben können." Ja, Esther, wir tun dafür, was wir können.
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