Forschung
Blutgruppe könnte über Schwere einer Covid-19-Erkrankung mitentscheiden
Warum werden manche Menschen bei einer Sars-Cov-2-Infektion schwer krank – und andere merken nichts? Zwei Studien lassen vermuten, dass die Zusammensetzung des Blutes wichtig sein könnte.
Michael Saurer & dpa
Fr, 12. Jun 2020, 8:22 Uhr
Gesundheit & Ernährung
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Der Molekularbiologe Andre Franke von der Universität Kiel und der norwegische Internist Tom Karlsen von der Universität Oslo vermuten einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und der Schwere des Covid-19-Verlaufs. In einer gemeinsamen Studie, die bislang nur als sogenannter Preprint veröffentlicht also noch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet wurde, berichten die Forscher von einem bis zu 50 Prozent erhöhten Risiko für Menschen mit der Blutgruppe A. Menschen mit der Blutgruppe 0 hingegen hätten das geringste Risiko auf einen schweren Verlauf der Krankheit. Wie verschiedene Medien berichten, untersuchten die Forscher das Erbgut von 1610 schwer erkrankten Patienten aus Italien und Spanien auf Auffälligkeiten und kamen so auf den Zusammenhang.
Die Reaktionen sind bislang verhalten. Für SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach seien die Ergebnisse aber nachvollziehbar. "Da Immunantwort von Blutgruppe abhängt macht das Sinn", schrieb er auf Twitter. Andere Experten verweisen darauf, dass es sich bei den Daten bislang allenfalls um statistische Werte handle. Nicht alle Menschen mit der Blutgruppe A würden schwer erkranken, die Studie sage nur, dass bei der Blutgruppe ein höheres Risiko bestehen könnte, sagte der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide im Deutschlandfunk. Wie stichhaltig die Ergebnisse seien, lasse sich ohnehin erst sagen, wenn die Studie veröffentlicht wurde und andere Forscher die Ergebnisse bewerten könnten.
Aber auch andere Wissenschaftler weisen auf einen Zusammenhang mit den Blutwerten und der Schwere des Covid-19-Verlaufs hin. Eine andere Studie an 40 Covid-19-Patienten im chinesischen Wuhan, die im Fachblatt EBioMedicine veröffentlicht wurde, konzentriert sich auf zwei Typen von Abwehrzellen im Blut. Bei einem der beiden handelt es sich laut Ko-Autor Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik Essen und Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie, um sogenannte Killer-T-Zellen mit einem bestimmten Oberflächenmarker (CD8). Sie töten virusinfizierte Körperzellen ab und unterbrechen damit die Vermehrung des Coronavirus. "Wenn die Patienten nur wenige von diesen Zellen haben, haben sie ein hohes Risiko, schwere Symptome wie etwa eine Lungenentzündung oder Gerinnungsstörungen zu entwickeln", erläutert Dittmer.
Der andere Zelltyp sind sogenannte Neutrophile. "Die sind dafür da, Bakterien abzuwehren. Sie können aber auch T-Zellen in ihrer Funktion unterdrücken." Demnach wurden in Blutproben mit vielen Neutrophilen nur wenige T-Zellen gefunden, was mit einem schwereren Krankheitsverlauf verbunden war.
Die Befunde seien in Deutschland bei mehreren Patienten bestätigt worden, betont Dittmer. "Besonders betroffen hat das Patienten mit Vorerkrankungen, die dazu führen, dass die Anzahl der T-Zellen abnimmt, etwa Patienten nach Transplantationen, die Medikamente zur Unterdrückung von Abstoßungsreaktionen erhalten", sagt Dittmer. Betroffen seien auch Krebspatienten unter einer Chemotherapie, ältere Menschen, bei denen die Zahl der T-Zellen altersbedingt abnehme, oder fettleibige Patienten. "Man weiß, dass übergewichtige Personen schwächere und weniger T-Zellen haben." An der Uniklinik Essen habe es sich bei mehr als 70 Prozent der schweren Covid-19-Verläufe um übergewichtige Männer gehandelt.
Für eine Covid-19-Therapie folge daraus, dass man zu Anfang einer Infektion versuchen könnte, die Killer-T-Zellen zu stimulieren – das könnten etwa bestimmte Impfstoffe. Auch die Vitamine A und C könnten die Funktion der T-Zellen verbessern. Bei Transplantierten könne man die Dosis der Medikamente zur Abwehrunterdrückung senken, bei Krebspatienten müsste man bei einer Corona-Infektion die Chemotherapie unterbrechen.