Vollgas
Bässe, die die Rückscheibe rausdrücken: Blick in die Lörracher Tuning-Szene
Japaner, Deutsche, Franzosen, Amerikaner – das sind die beliebtesten Automarken in der Lörracher Tuning-Szene. Eines haben alle gemein: Ihre Serienautos sind ihnen zu langweilig.
Felix Lieschke
Di, 6. Sep 2016, 9:46 Uhr
Lörrach
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David Carminio erzählt davon, wie er gemeinsam mit seinen Freunden nach Basel ins Spielcasino gefahren ist. Er war das erste Mal dort, sagt er. Carminio setzte sich an einen Automaten. Als der zu blinken begann, hatte er keine Ahnung, was genau passiert war. Am Ende, erzählt er, sei er mit einem mittleren vierstelligen Betrag nach Hause gefahren. Sie fuhren zusammen nach Lörrach, haben sich in eine Schischabar gesetzt und sich die teuerste Wasserpfeife gegönnt, die es in dem Laden gab. Den Rest des Geldes habe er in sein Auto gesteckt.
Carminio hat sich für ein deutsches Modell entschieden. Einen Audi, Modell A6, silberne Limousine. Nicht der Jüngste, aber weit davon entfernt, alt zu sein. Heute steht das Auto in einem hellen, matten Blau da. Es soll nur die Grundlage bilden für die nächsten Arbeiten. Eine Camouflage aus mehreren Farben will er obendrauf lackieren. Die Farbe fällt auf, jetzt schon. Der Kühlergrill und die Audi-typischen vier Ringe hat er mattschwarz lackiert. Die schon sportlichen zwei Auspuffrohre hat er vergrößert. "Es sind aber nur Blenden", sagt er. Ein Dieselmotor verliere an Leistung, wenn der Gegendruck fehle.
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David Carminio ist vor etwa zwei Jahren zu den Tunern aus Lörrach gestoßen. Kennengelernt hat er die Gruppe über eine andere Leidenschaft: Wasserpfeifen. Nach und nach hat er sich ins Tuning eingearbeitet. Mit der Lackierung seines Wagens hat es angefangen; eine Folie zum Aufsprühen. Mittlerweile hat er fünf Autos so lackiert – unter anderem das seines Vaters. Dabei ist der gelernte Einzelhandelskaufmann seit Dezember bei einer Sicherheitsfirma in einem Basler Pharmaunternehmen beschäftigt.
Es ist Samstagnachmittag, in Carminios Audi geht es in die kleine Werkstatt nach Weil. Eine vierköpfige Familie verlangsamt ihr Schritttempo beim Anblick des Audis. Vater, Mutter, zwei Kinder – sie bleiben nicht die Einzigen, die dem Auto hinterherschauen. Auf dem Werkstatthof steht das Auto von Kai Jürss. Seit dem frühen Morgen schrauben die beiden an seinem Citroën Saxo. Jürss ist der Vorsitzende von "The Infamous Tuner". Zusammen mit Kevin Chu hat er den Club vor drei Jahren gegründet. Chu und Jürss waren gemeinsam in der Schule. Jürrs arbeitet als Schreiner und Monteur bei Vitra, Chu ist Grafikdesigner. In der Kunsthalle in Brombach hat er mehrmals seine Arbeiten ausgestellt. Bei "The Infamous Tuner" kümmert er sich um Designs von T-Shirts, Logos und Autos.
Jürss hat seinen Citroën vor fünf Jahren auf dem Schrottplatz gefunden. 500 Euro hat er damals ausgegeben. Nur wenig an dem Auto erinnert noch an das Original. Der freie Platz zwischen Rädern und Radkasten ist weg. Die Spur ist breiter geworden. Die Rückbank hat er entfernt und mit einer viereckigen Holzkonstruktion ersetzt. Die Rückscheibe hat er mehrmals austauschen müssen; die Bässe der mit Lautsprechern gefüllten Holzkonstruktion haben sie dreimal herausgedrückt. Wie viel Watt seine Musikanlage genau hat, wagt er nicht zu schätzen. Die Maximallautstärke des Radios hat er noch nie erreicht. Abhängig von der Sonneneinstrahlung schimmert das Auto mal blau, mal lila. Auch der Motor ist nicht mehr Original. Jürss weiß nicht mehr, wie viel Geld er in dem Auto schon begraben hat. Die 10 000-Euro-Marke hat er aber längst gesprengt.
Doch warum investiert jemand so viel Geld in ein schrottreifes Auto? Weil er sich kein neues Auto leisten kann, oder weil es Kunst ist? "Es ist eine Mischung aus beidem", sagt Carminio – eine Leidenschaft fürs Selbermachen und fürs Fahren. Dabei distanziert sich der neunköpfige Club klar von illegalen Aktivitäten. Einmal sei Jürss dazu eingeladen worden, an einem Rennen mitzufahren, erzählt er. Er habe abgelehnt. Sie sagen, sie haben noch nie eine Strafe wegen zu hoher Geschwindigkeit gehabt – Strafen wegen Falschparkens schon.
Die Gruppe trifft sich immer sonntags im Parkhaus des Hieber Marktes in Lörrach. Am frühen Nachmittag donnern die getunten Autos in die Garage. Die Fahrer bringen Campingstühle mit, laden ihre Wasserpfeifen aus, lassen Musik laufen. Der Club ist eigentlich kein Club; es gibt keine Satzung, es gibt keine Wahlen, es gibt keinen Mitgliedsbeitrag. Es ist vielmehr eine lose Gemeinschaft, die sich gut organisiert hat. Es gibt T-Shirts, Jacken, sogar Unterhosen mit dem Logo drauf. Der Rest, alles Offizielle, bedeutet viel mehr Bürokratie. Diese Art von Clubs gibt es häufiger in der Region, sagen sie. Erst Ende Juli fand in Weil der "Day of Tuning" statt. Christopher Wrengzik hat ihn organisiert. Auch er schaut ab und an beim Sonntagstreffen in der Hieber-Garage vorbei – man kennt sich untereinander.
Rund 420 Tuningbegeisterte haben sich beim Treffen in Weil versammelt, sagt er. Zwei Fahrer mussten sie rauswerfen, da die sich nicht an die vorher ausgehändigten Regeln halten wollten. Die "Infamous Tuner" wollen demnächst auch wieder ein größeres Treffen veranstalten – zwei große Veranstaltungen haben sie bereits ausgerichtet. Bis dahin bleiben ihnen ihre Sonntagstreffen in der Hieber-Garage. Mit den Chefs des Marktes sei das alles abgesprochen, sagen sie. Alles, was sie machen, sei völlig legal.
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