Ausflug nach Auschwitz
Yasmina Reza lässt in ihrem neuen Roman drei jüdische Geschwister mit sehr unterschiedlichen Empfindungen nach Polen reisen.
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Nach ihm hat Yasmina Reza, französische Schauspielerin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin, ihren neuen Roman benannt. Reza, Jahrgang 1959, bleibt sich bei "Serge" treu und lässt auch hier ihren autobiographischen Hintergrund – großbürgerliches jüdisches Milieu – aufscheinen. Vom Verlag wird der Roman über die vielen Neurosen der Familie Popper als "bissig, zärtlich und herzzerreißend komisch" angepriesen, was angesichts der Schwere des Sujets allerdings etwas irritiert. Mutter Marta Popper, deren Familie seinerzeit aus Ungarn flüchten konnte, liegt im Sterben. Sie will eingeäschert und begraben werden. "Bloß nicht bei den Juden!", sagt sie. "Um nichts in der Welt wollte sie Opfer sein", schreibt Reza. "Die Nichtzugehörigkeit zur jüdischen Welt war in der Welt der Verfolgten ein Bestandteil der DNS geworden." Anders der vor ihr gestorbene Gatte, dessen Vorfahren aus Wien stammten. Er landete bei Gesprächen über Israel stets bei Schwulst und Pathos, über seine Frau schimpfte er: "Die schlimmsten Antisemiten sind selber Juden."
Wie damit leben? Die Kinder blenden ihre jüdische Geschichte weitgehend aus, erst an Martas Grab reift auf Drängen von deren Enkelin der Wunsch eines Besuchs der Vernichtungslager im heutigen Polen. Reza beschreibt groteske Szenen dort: Asiaten, die sich vor den Baracken in Selfie-Pose werfen; dichtes Gedränge in den ehemaligen Gaskammern, alle in Strandkleidung und pausenlos fotografierend; israelische Touristen, die gleich nach Auschwitz zum hemmungslosen Shoppen nach Krakau aufbrechen. Overtourism in Oswiecim. Ist das amüsant? Diese Frage muss wohl jede Leserin und jeder Leser für sich beantworten. Was macht Auschwitz mit den Poppers? Während Nana und Joséphine jedes Detail verschlingen und aus einem "Ist das grauenhaft" nicht mehr herauskommen und Serge abblockt, räsoniert Jean, der einsame Ich-Erzähler: "An diesen Orten mit ihren komischen Namen, Auschwitz und Birkenau, wollte mir keine Gefühlsreaktion gelingen. Ich schwankte zwischen Kälte und dem Bemühen, etwas zu empfinden, womit man nur sein Wohlverhalten unter Beweis stellen will."
Die Familie ist zerstritten, doch es geht um mehr als den Umgang mit dem Grauen der Vergangenheit. Es geht um Lebensentwürfe, um Lieben und Lieben lassen, Nähe und Distanz. Darum, was Krankheit, Alter und nahender Tod bedeuten. Und schließlich auch um die Möglichkeit der Versöhnung. Nicht mit der jüdischen Geschichte, aber doch mit den persönlichen Geschichten. Aber braucht es dafür wirklich Auschwitz?
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