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Vor 25 Jahren

Als Neonazis ein Aslyheim in Rostock anzündeten

Vor 25 Jahren zündete ein rechtsextremistischer Mob ein Asylbewerberheim an / Mit Mahnveranstaltungen erinnert die Stadt an die Pogrome.  

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Das Sonnenblumenhaus im Jahr 2017, die Gedenkstele ist noch verhüllt Foto: DPA
Es wird ihm schnell klar, wie ernst, wie existentiell die Situation ist: "Irgendwann habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich besser: aus dem Fenster zu springen oder hier drin zu verbrennen?", erzählt Thomas Höper. Der Stuttgarter war mitten hineingeraten in die schlimmsten ausländerfeindlichen Krawalle seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Zusammen mit vier Kollegen war der Kameramann des ZDF im sogenannten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, als Neonazis und Anwohner Wohnungen des Häuserblocks in Brand steckten. Es war der 24. August 1992. Er markierte den Höhepunkt der fast eine Woche anhaltenden ausländerfeindlichen Krawalle in Lichtenhagen.

Für die Fernsehsendung "Kennzeichen D" war Thomas Höper, der heute in Stuttgart wohnt, nach Rostock gekommen. Der Kameramann und seine Kollegen sollten den dritten Abend der Krawalle vor der "ZAst" begleiten, der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber. Bereits in den Tagen zuvor hatte dort heftige Randale gegeben.

Das Haus war überfüllt mit Flüchtlingen, unter ihnen viele Sinti und Roma, die aus Rumänien und Polen gekommen waren. Sie kampierten vor dem Haus, ohne Verpflegung, ohne sanitäre Anlagen. Weil sie kein Geld und kein Essen hatten, gab es Diebstähle in den umliegenden Geschäften. Eine Situation, die über Wochen andauerte und längst untragbar geworden war. Beschwerden der Anwohner wurden ignoriert, nichts änderte sich. Am 22. August entlud sich die Wut der Menschen in Lichtenhagen zum ersten Mal. Es flogen Steine, Flaschen, Molotow-Cocktails und Feuerwerksraketen. Gegen das Haus und gegen Polizisten, begleitet von "Sieg Heil"- und "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus"-Rufen. Während die einen randalierten, standen andere daneben, klatschten und bejubelten die Angreifer. Imbissbuden wurden aufgebaut. Die Stimmung bewegte sich zwischen Pogrom und Volksfest.

Heute ist Thomas Höper wieder in Rostock. Er zeigt, wo damals die Proteste stattfanden und wie er sich 1992 rettete. Auf der Wiese vor dem Haus stehen heute ein Supermarkt, ein Friseur und ein paar kleinere Läden. Hier zeigte vor 25 Jahren der rechtsextreme Mob sein hässlichstes Gesicht. Heute löse ein Besuch in Rostock kein mulmiges, aber immer noch ein besonderes Gefühl aus. "Der Tag hat mein Leben verändert", sagt der 55-Jährige. Deshalb ist er wieder hier, es ist ein Akt gegen das Vergessen. "Ich fühle mich verpflichtet, will Präsenz zeigen. Die Geschehnisse von damals sollen in Erinnerung bleiben", sagt er.

Am Nachmittag des 24. August war die Aufnahmestelle für Asylbewerber geräumt worden. Vor dem Sonnenblumenhaus versammelten sich Anwohner und zugereiste Neonazis. Im Fokus stand nun das Heim für vietnamesische Vertragsarbeiter, das im gleichen Wohnblock untergebracht war. Thomas Höper war damals im sechsten Stock und drehte ein Interview bei einer vietnamesischen Familie, das in "Kennzeichen D" gezeigt werden sollte. "Die Familie konnte kein Licht machen, da sie Angst hatte, entdeckt zu werden. Wegen der Krawalle hatten sie alle seit zwei Tagen nicht geschlafen", erinnert sich Thomas Höper.

Während das ZDF-Team seine Arbeit machte, zündeten die Randalierer die ersten Wohnungen in den unteren Stockwerken an. Dass etwas nicht stimmte, merkte Höper, als er aus dem Fenster blickte: "Ich sah die Molotow-Cocktails, aber keine Polizei. Die war abgezogen." Ein Schock. Zusammen mit den etwa 150 eingeschlossenen Vietnamesen rettete er sich auf das Dach des Hauses. Geduckt konnten sie über die Dächer weiterlaufen zu den anliegenden Häusern und später dort hinabsteigen.

Als großes Glück beschreibt es Thomas Höper heute, dass sich die vietnamesischen Anwohner im Haus auskannten und über Umwege den Zugang zum Dach aufbrechen konnten. Überall Rauch und Qualm, von unten drängten Randalierer ins Haus, es erklangen Sprüche wie "Wir kriegen euch alle" und "Jetzt werdet ihr gegrillt!". Die angerückte Feuerwehr wurde in ihrer Arbeit behindert, Menschen stellten sich in den Weg und versuchten das Löschen zu verhindern. Erst viel später konnten die Brände in den Wohnungen gelöscht werden. Es grenzt an ein Wunder, dass es keine Toten gab.

Mit verschiedenen Veranstaltungen erinnern die Stadt Rostock und Vereine bis Samstag an die Ausschreitungen von 1992. "Die Stadtgesellschaft und ihre Institutionen haben damals versagt", sagt Wolfgang Nitzsche, "heute müssen wir Verantwortung tragen." Der Präsident der Rostocker Bürgerschaft sitzt der "AG Gedenken" vor, die die Woche des Erinnerns organisiert hat. An verschiedenen Stellen in Rostock werden Mahnmale eröffnet, es gibt verschiedene künstlerische Programme.

Am Dienstag war bereits Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) nach Rostock gekommen, in der Gedenkveranstaltung sagte sie: "Ziel unseres Engagements muss es sein, die Menschen vor Ort zu erreichen, gerade auch junge Menschen, die sich abgehängt fühlen, die dann leicht empfänglich sind für radikale Ideologien." Rostock sei wegen Lichtenhagen international bekannt geworden. "Der Rassismus aber ist allgegenwärtig in der ganzen Bundesrepublik", sagt Nitzsche. Deshalb sei es wichtig, an das Pogrom zu erinnern, darüber es zu reden, wachzurütteln. Nitzsche sieht Erfolge. Die Hilfsbereitschaft während der Flüchtlingskrise sei in Rostock immens gewesen, sagt er. Nachdem Nazis versucht hatten, in der Stadt Fuß zu fassen, hat sich das Bündnis "Bunt statt Braun" gebildet. Und nach den Ausschreitungen 1992 zogen sich die Vietnamesen nicht etwa zurück. Sie gründeten den Verein "Diên Hông", um auf die Rostocker zuzugehen, sich einzubringen.

Doch wie sieht es 25 später aus? 25 Jahre, nachdem Bilder wie die eines arbeitslosen Baumaschinisten im Deutschlandtrikot, die Hand zum Hitlergruß gereckt, um die Welt gingen? Bilder von Molotowcocktails, brennenden Autos, einer Polizei, die kapituliert? Nitzsche erzählt, dass es immer wieder Vorfälle mit Nazis in der Stadt gibt. Das Denkmal für Mehmet Turgut, einen von der rechtsextremen Terrororganisation NSU ermordeten türkischstämmigen Imbiss-Verkäufer, war Anfang des Jahres beschmiert worden. Rechte Proteste gegen eine Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge in einem Randbezirk hatten dazu geführt, dass die Jugendlichen gehen mussten und in andere Stadtteile verteilt wurden. Immer wieder fliegen auch Brandsätze gegen Flüchtlingsheime.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Seit 2015 ist die Anzahl der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund sprunghaft angestiegen. 2014, vor der Flüchtlingskrise, gab es deutschlandweit 990 solcher Taten. 2015 waren es dann 1408, im vorigen Jahr 1600 Taten. Immerhin, die direkten Straftaten gegen Asylunterkünfte nehmen wieder ab. Kann so etwas wie Lichtenhagen 1992 wieder passieren? Bürgerschaftspräsident Wolfgang Nitzsche glaubt das nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß. "Dafür war die Solidarität in der Flüchtlingskrise zu hoch", sagt er. Auch die Umstände seien heute anders. Er sagt aber auch: "Es kann schon sein, dass es eine schweigende Mehrheit gibt, die sich dem Mob wieder anschließen und applaudieren würde."

In Lichtenhagen versagten Politik und Polizei. Es war keine kleine braune Gruppe, die sich heimlich ins Sonnenblumenhaus schlich. Der rechte, mordlustige Mob randalierte vor laufender Kamera, vor den Augen der Polizei. Die nicht eingriff, sondern abzog, als die Rechtsextremen das Haus anzündeten. Die Bewohner waren den Randalierern und den jubelnden Anwohnern schutzlos ausgeliefert. Danach gab es immer wieder rechte Gewalttaten – auch mit Todesopfern: in Mölln, in Solingen, in Magdeburg. In der Folge wurden nicht rechtsextreme Gewalttaten härter bestraft, sondern das Asylrecht eingeschränkt.

Kameramann Thomas Höper sitzt in einer Eisdiele in Lichtenhagen, direkt vor dem Sonnenblumenhaus. Er und seine Frau bleiben die ganze Woche über in der Stadt. Für ihn ist das selbstverständlich. Gleich trifft er sich mit ehemaligen Kollegen und Bekanntschaften von damals. Sie wollen reden und sich erinnern. Der Ausländerbeauftragte, Wolfgang Richter, der vor 25 mit dabei war, hat zu sich geladen, er kocht. Aus all dem Grauen sind Freundschaften entstanden, die seit 1992 halten. Thomas Höper glaubt, dass diese Woche das letzte große Gedenken in nächster Zeit sein wird: "Ab 30 Jahren interessiert das niemanden mehr." Er hofft, dass die Krawalle von damals trotzdem in Erinnerung bleiben – und sich vor allem nicht wiederholen.

Ressort: Südwest

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