Lahr
Als Bestatter macht Janik Rottenecker einen Spagat zwischen Nähe und Distanz
Für den 28-jährigen Janik Rottenecker sind Bestattungen Beruf und Berufung. Er hat sich schon früh, nach einer tragischen persönlichen Erfahrung, dafür entschieden. Seine eigene Bestattung wünscht er sich "ganz entspannt".
Sa, 23. Nov 2024, 12:09 Uhr
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Eine halbe Stunde davor ziehen Janik Rottenecker und Oliver Arnemann, Angestellter des Bestattungshauses Bolz, die Bahre auf Rollen mit dem Toten aus einer der drei Kühlzellen hervor. Diese befinden sich auf dem Bergfriedhof in Lahr im Nebengebäude der Totenkapelle, die man schon sieht, bevor man den Friedhof betritt. In diesem Gebäude findet die Versorgung statt – so heißt es im Fachjargon, wenn eine Verstorbene, oder ein Verstorbener in den Sarg gelegt und schön gemacht wird. Dazu gehören Einkleiden, Waschen, Rasur, Kämmen, Mund und Augen verschließen, die Hände ineinander falten. Noch weitere Handlungen wären für Bestatter möglich – aber dazu hat Janik Rottenecker eine dezidierte Haltung.
Der Tote trägt eine Netzhose, eine saubere Einlage und ein Shirt. Vor etwa zwei Tagen ist er zu Hause gestorben. Die Angehörigen wollen das Shirt nicht zurück, also schneidet Janik Rottenecker es mit einer Schere vorne auf und zieht es aus. Die beiden Männer heben das schmale Kunststoffbrett mit dem Toten hoch und legen ihn samt Brett in den bereitgestellten Sarg aus Kiefernholz. Ohne das Brett wäre der Transfer nicht würdevoll, findet der Bestattermeister: "Wir müssten ihn von der Bahre in den Sarg herüberziehen und er würde in den Sarg fallen, was wir vermeiden wollen", erklärt er. Der Mitarbeiter zieht das Brett unter dem Toten hervor.
Die Angehörigen wünschen sich, dass der Verstorbene im Sarg ein weißes Hemd trägt, das sie beim Bestatter ausgesucht haben. Es sieht aus wie ein Talar. Der Wunsch danach sei mittlerweile selten, sagt Janik Rottenecker. Die meisten Angehörigen wollen, dass der Verstorbene seine Lieblingskleider trägt, bis hin zu Socken und Unterhosen. Bei Frauen dominieren Blusen, bei Männern ein gutes Hemd. Auch Pfarrgewänder und Jogginganzüge hat er Toten schon angezogen – oder ein Hochzeitskleid.
Dem Verstorbenen wird nun das Totenhemd angezogen. Sein rechter Arm steht etwas ab und ist leicht steif. Damit er die Hände falten kann, beginnt Janik Rottenecker, die Muskeln des Bizeps und die Finger des Toten zu massieren. Das lockere die Totenstarre gut auf. Es sei ein Mythos, dass Verstorbenen beim Versorgen Knochen gebrochen werden müssen, betont er. Die Finger verschränkt, bleiben die Arme nun in der gewünschten Position. Es geht weiter beim Kopf. Der Mund würde ohne Hilfsmittel halb offenstehen. "Das ist die ganz normale Haltung." Um den Mund zu verschließen, bringt Janik Rottenecker eine Kinnstütze an, eine Halterung, die um den Hals gelegt wird und den Kiefer hebt. Mit feuchten Tüchern wischt Rottenecker anschließend behutsam und gründlich die geschlossenen Augen aus und fährt vorsichtig über die Wangen. "Eine Rasur wurde nicht gewünscht. Den leichten Bartwuchs hat er immer so gehabt und sich damit wohlgefühlt", erklärt Janik Rottenecker. Zum Schluss bürstet der Angestellte die Kopfhaare des Toten. Mehr brauche es bei diesem Verstorbenen nicht, so Rottenecker.
Eine halbe Stunde – so zügig geht eine Versorgung nicht immer. War jemand lange krank und habe viele Medikamente genommen oder kam bei einem Suizid ums Leben, könne sie schon mal anderthalb Stunden und länger dauern. Am wichtigsten sei ihm, so Janik Rottenecker, dass sich die Angehörigen gut verabschieden können: "Gerade bei einem unerwarteten Tod ist es sehr wichtig, den Toten nochmal zu sehen. Aber auch wenn die Angehörigen das nicht wollen, versorgen wir alle gleich."
Seine persönliche Grenze liege dabei beim Tamponieren von Körperöffnungen, damit keine Flüssigkeit austritt und beim Verschließen des Mundes mit Nadel und Faden – wobei der Faden durch die Nasenhöhle geführt wird. "Ich will, dass jeder in Würde von dieser Welt gehen darf", erläutert Janik Rottenecker seine ablehnende Haltung. Das wären zu große Eingriffe in die Persönlichkeit, findet er und stellt eine Frage in den Raum: "Würden Sie wollen, dass das bei Ihren Angehörigen gemacht wird?" Das Bestattergeschäft besteht nicht nur aus Versorgungen, es ist vielschichtig: Bürokratie, Beratung, Trauerreden, die Begleitung der Trauerfeier und natürlich der Umgang mit den Toten selbst. "Beratung liegt mir am meisten", sagt Janik Rottenecker. Mutter Marina ist im Innendienst tätig, Vater Ralph sei indessen "Mädchen für alles". Die vergleichsweise große Bestattungsfirma hat eine Handvoll Mitarbeitende, die sich schwerpunktmäßig um Versorgungen und die Trauerfeiern kümmern.
Sein Beruf sei Berufung, aber aufgrund der Größe des Betriebs und Dienstplänen zum Glück kein Rund-um-die-Uhr-Job. Er könne mit seiner Freundin, mit der er in Mahlberg wohnt, auch ein Privatleben führen. Er findet es im Übrigen normal, dass sich bei neuen Bekanntschaften erstmal alles um seinen Beruf dreht. "Du siehst nicht wie ein Bestatter aus", sei eine häufige Reaktion.
Oft werde er mit Fragen bombardiert: "Klar, es gibt ja auch viel Aufklärungsbedarf." In Lahr gibt es zwei weitere Bestattungshäuser. Der Markt ist laut Janik Rottenecker gesättigt, man stehe sich aber nicht im Weg.
Die meisten Bestattungen seien mittlerweile Feuerbestattungen, auch bei der Firma Bolz. 2023 lag der Anteil bei 76 Prozent im Vergleich zur Erdbestattung. Die Kosten für eine durchschnittliche Feuerbestattung mit Kremation, Grab und Todesanzeige liege bei einer Summe von 4000 Euro, inklusive Friedhofsgebühren und Todesanzeige. Der Trend gehe zudem zum Bestattungswald und zu individuellen Bestattungen.
Bei seiner eigenen Beerdigung fände Janik Rottenecker es cool, wenn jeder, der Lust hat, am Pult etwas sagt. Und danach: Ein Fleischkäsweckle und ein Bier, das auf ihn getrunken wird. "Alles ganz entspannt." Bis dahin will er versuchen, jeden Tag zu leben als wäre es sein letzter. Das sei zwar etwas abgegriffen, aber dennoch richtig, sagt er und schmunzelt.
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