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Druck am Arbeitsplatz

Ämterbelastung in Baden-Württemberg: Mitarbeitende sehen sich kurz vor Kollaps

Die Akten türmen sich, die Warteschlangen werden länger, der Unmut macht sich immer lauter Luft. Eine Umfrage verdeutlicht: In den Amtsstuben haben viele den Eindruck, kurz vor dem Kollaps zu stehen.  

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Ämter in Baden-Württemberg leiden unter dem enormen Fachkräftemangel.  | Foto: Stephanie Pilick (dpa)
Ämter in Baden-Württemberg leiden unter dem enormen Fachkräftemangel. Foto: Stephanie Pilick (dpa)

Immer wieder neue Aufgaben, Bürokratie und Überstunden, dazu die Wut ungeduldiger Kunden und mangelnde Digitalisierung: Viele Ämter in Baden-Württemberg arbeiten nach einer Recherche des SWR vollkommen am Anschlag, die Burnout-Rate nimmt zu.

Mitarbeiter klagen über einen wachsenden Berg von Arbeit, Anfeindungen und Angriffen. Immer häufiger würden Entscheidungen der Verwaltung von Bürgerinnen und Bürgern infrage gestellt, es werde diskutiert, gedroht, beleidigt, wie die Online-Umfrage des Senders bei Bürgerbüros, Kfz-Stellen, Jugend-, Sozial- und Ausländerämtern sowie Baubehörden ergeben hat.

Laut SWR haben sich 1106 Ämter aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beteiligt. Die Ergebnisse der Befragung wurden von der Universität Konstanz ausgewertet. Sie sind in der SWR Story "Amt am Limit - Der Staat vor dem Kollaps" (22. Oktober 2024/20.15 Uhr) im SWR zu sehen.

Der Rückstau wird immer größer

Demnach hat in den vergangenen fünf Jahren vor allem die Zahl der zu bearbeitenden Fälle insbesondere in Ausländerbehörden, Jugend- und Sozialämtern zugenommen. Bürgerbüros und Kfz-Ämter könnten Anträge hingegen effizienter bearbeiten, heißt es in der Auswertung der Konstanzer Experten.

"Ein sich aus diesen Entwicklungen ergebender steigender Rückstau von Fällen zeigt sich in mehr als einem Drittel der befragten Behörden", bilanziert die Arbeitsgruppe für Verwaltungswissenschaft der Uni Konstanz. Dabei sei die Zahl der Planstellen eigentlich gestiegen. Den geringsten Rückstau haben Bürgerbüros, den höchsten Ausländerbehörden und Jugendämter.

Die Behörden leiden laut Umfrage zudem durchgehend unter einem enormen Fachkräftemangel, von dem besonders Jugend- und Sozialämter sowie mittlere und größere Städte betroffen sind. Mehr als 90 Prozent der Befragten sehen den Bedarf an Know-how in ihren Ämtern, 70,8 Prozent sind überzeugt, es falle ihrer Behörde zunehmend schwer, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen.

Druck am Arbeitsplatz macht krank

Die zunehmende Arbeitsbelastung hat laut Umfrage auch Folgen für die Psyche, für das Verhalten und die Arbeit der Beschäftigten in den Behörden. Diese suchen Strategien, um die hohe Arbeitslast zu bewältigen, darunter Weiterbildungen und bessere digitale Prozesse, es wird umstrukturiert und gezielt nach Quereinsteigern gesucht. Konsequenzen hat die Überlastung aber auch für die Dienstleistungen: Laut Studie dauert die Bearbeitung eines Vorgangs länger. Außerdem wird eher bearbeitet, was nach außen gut sichtbar ist oder schnelle Ergebnisse liefert.

Immer stärker lassen Kunden in der Verwaltung ihren Frust über solche Verzögerungen, über lange Warteschlangen oder Entscheidungen auch bei den Mitarbeitenden ab. Laut der Umfrage berichten die meisten Behörden von Konflikten - auch ein Grund für die Überlastung. Gut ein Zwölftel der Behörden beschäftigen auch Sicherheitspersonal, zudem wird in Seminaren der richtige Weg zur Deeskalation gelehrt.

Immer mehr Drohungen und Angriffe

"Fast alle befragten Behörden sehen sich stark zunehmenden schriftlichen, verbalen, körperlichen oder Online-Anfeindungen oder Übergriffen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ausgesetzt, etwa 60 Prozent mindestens einmal monatlich bis täglich", bilanzieren die Experten der Universität Konstanz. Am stärksten wird demnach im Jugendamt geschimpft und gedroht, auch die Ausländer- und die Baubehörde sehen sich regelmäßigen Angriffen ausgesetzt.

Fast 84 Prozent der befragten baden-württembergischen Behörden geben an, dass ihre Entscheidungen öfter infrage gestellt würden als früher. Das gilt vor allem für Kfz-Stellen, aber auch für Baubehörden und Bürgerbüros. Und wie in der Gesellschaft auch, so stellt die Studie einen zunehmenden Vertrauensverlust in der Verwaltung fest: 74 Prozent der Behördenmitarbeiter im gesamten Südwesten geben an, mehr oder auch weniger das Vertrauen in die Politik verloren zu haben. Von den politischen Entscheidungsträgern erwarten die Ämter vor allem Hilfe bei finanziellen Forderungen, beim Problem der Überlastung und bei Konflikten mit der Bevölkerung.

Beamtenbund fordert flexiblere Arbeitszeiten

Mit einer flexibler gestalteten Arbeitszeit zum Beispiel über eine 4-Tage-Woche oder Teilzeitmodelle könnten die Belastungen abgebaut und Nachwuchs gewonnen werden, sagt der Landesvorsitzende des baden-württembergischen Beamtenbundes (bbw), Kai Rosenberger. Denn die Erfahrungen der Kfz-Stellen und Sozialämter deckten sich mit den Erlebnissen weiter Teile des öffentlichen Dienstes. "Eine Arbeitsüberlastung wird uns aus allen Bereichen zurückgemeldet, auch die psychischen Erkrankungen nehmen zu", sagt Rosenberger.

Einer der Gründe für die zunehmenden Anfeindungen auf den Ämtern sei laut dem bbw die hohe Zahl von Migranten. "Das sind oft auch Menschen aus Kulturen, die sich schwertun, sich von Frauen etwas sagen zu lassen", sagt Rosenberger. Überall gehe der Respekt vor der öffentlichen Verwaltung verloren.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) berichtet von ähnlichen Erfahrungen seiner Mitglieder. "Die Überlastung ist in den Amtsstuben ein Riesenthema", sagt Dominik Gaugler vom DGB-Bezirk Baden-Württemberg. "Das führt zu Unzufriedenheiten auf beiden Seiten." Der Arbeitsstress und die Übergriffe machten auch die Gewinnung von Nachwuchs für den Öffentlichen Dienst zu einer Herausforderung.

Ressort: Südwest

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Kommentare (1)

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Martin Fehse

989 seit 19. Jun 2009

Das erinnert an das Lied des Liedermachers Reinhard Mey - "Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars". Die deutsche Bürokratie und natürlich auch die zunehmend schlechte Ausbildung sind unter anderem Schuld an dieser Misere. Wenn zwei Finanzbeamte über einen "einfachen" Fall grundsätzlich anders entscheiden und dabei dann hunderte von Euro nicht in Anrechnung gebracht werden, ist dies sicherlich ein klassischer Fall von unzureichender Ausbildung. Denn hier geht es nicht nach gut Dünken, sondern vielmehr um die richtige Anwendung der gesetzlichen Regelungen.
Das Problem der Aktenberge ist also selbst gemacht. Falsche Entscheidungen durch den Sachbearbeiter sind immer ein Bumerang für das Amt, doppelte Arbeit also.


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