Pro 7
"Absolute Mehrheit": Stefan Raabs TV-Polittalk und die Folgen
Stefan Raabs neue Talkshow auf Pro7 leistet keinen Beitrag zur Verbesserung des politischen Stils. Im Gegenteil. Doch die schleichende Qualität im Fernsehen ist nur ein Problem.
Mo, 12. Nov 2012, 17:56 Uhr
Computer & Medien
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Abgewählt gleich nach der ersten Runde von einem Fernsehpublikum via kostenpflichtigen Anruf, denn im privaten Fernsehen kostet auch das Wahlrecht stolze 50 Cent pro SMS. Möglicherweise schwante dem Pharmazeuten und Politprofi aus der zweiten Reihe erst da, auf welches Spiel er sich eingelassen hatte: "Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!" Vergebens – das hätte der Zauberlehrling Fuchs früher wissen müssen, mit welchen Geistern er sich da eingelassen hatte.
Stefan Raab ist ein Meister aus Medien-Deutschland, einer, der die Show-Besen unverschämt tanzen lässt, einer, dessen Humor- und Unterhaltungsmanagement vor allem – oder ausschließlich – auf Kosten anderer funktioniert. Schon vor dem Hintergrund war klar, dass seine neue Talkshow auf Pro 7 kein Beitrag zur Verbesserung des politischen Stils im Lande werden würde. Wenn Raab im Untertitel von "Absolute Mehrheit" postuliert, "Meinung muss sich wieder lohnen", ist das mehr als Satire, es ist schlicht perfide. Denn natürlich bezieht sich das "Lohnen" nicht auf den politischen Diskurs, sondern aufs Verdienen, auf die Quote.
So gesehen hat sich der Polit-Talk-Auftakt schon gelohnt: 1,79 Millionen Zuschauer verfolgten das gleichwohl schon im Vorfeld medial geschickt angepriesene Format – was angesichts der späten Sendezeit einem Marktanteil von 18,3 Prozent entspricht. Vor allem in der für den Werbemarkt so relevanten Altersgruppe der 14- bis 29-jährigen, für die das Fernsehen kaum noch eine Prostitutionsgeste scheut, punktete Raabs Sender gegenüber der ARD und dem eine Stunde früher ausgestrahlten Sonntagstalk von Günter Jauch. Weshalb Pro 7 nun mit Stolz behaupten kann, mit Raab mehr junges Publikum vor die Bildschirme geholt zu haben, als alle öffentlich-rechtlichen Polittalks zusammen.
Na also, ließe sich sagen, geht doch. Geht weg von dem pseudoseriösen Problemgequassel à la Jauch, Will, Maischberger, Illner & Co und peppt die ganze Sache etwas auf: mit einem rostigen Pleitegeier neben dem Konterfei des Bundespräsidenten, mit einer jugendlichen Claque, die bei manch zugespitzter Aussage quietscht, als gelte es einen neuen Teenie-Star zu feiern. Mit ein bisschen Show-Spannung wie bei "Wetten, dass..?", wenn es darum geht, wer als Mittalker "die geile Drei" (Raab) bekommt, bei der immer noch was geht. Und mit einem Moderator, der sich wie der Rüpel im Schafspelz gebärdet. Mal ganz harmlos ("Ich bin ja nur ein einfacher Bürger, der die da oben fragt"), mal gewohnt frech ("Eine Yacht kostet pro laufenden Meter acht Millionen Euro – Herr Kubicki weiß, wovon ich spreche...") Und schon funktioniert der Laden, will heißen: Schon macht Demokratie Spaß im Fernsehen, schon lassen sich vor allem auch die wenig Politik-affinen Jüngeren dafür begeistern.
Wer der Meinung ist, dass darin – im Spaß – der Zweck dieser Gesellschaftsform besteht, mag zustimmen. Der Rest – und es bleibt zu hoffen, dass es sich noch immer um die breite Mehrheit handelt – sollte ein breites Unbehagen verspüren. Nicht wegen des Unterhaltungsfaktors: Auch ein Frank Plasberg ist in "Hart aber fair" (ARD) um einen pointenreichen, gewitzten Polittalk bemüht.
Das Erschreckende an Raabs Show ist, mit welcher Oberflächlichkeit – unerwiderte, nicht gegenrecherchierte Behauptungen inklusive – über politische Inhalte hinweggaloppiert wird: eine Viertelstunde Steuergerechtigkeit, eine Viertelstunde Energiewende, eine Viertelstunde Soziale Netzwerke. Wer da, wie die mit dem in den Medien so beliebten, schwachsinnigen Attribut "Jung-Unternehmerin" ausgestattete Verena Delius mal großzügig aufs Wort verzichtet, fliegt womöglich danach gleich raus – so geschehen.
Dahinter steckt eher TV-Darwinismus denn Demokratie, denn womöglich können sich manche Zuschauer auch nur zu dem Fazit durchringen, das Sat1-Nachrichtenchef Peter Limbourg in seinen dumm-drögen Kommentaren vor dem ersten Quotenbarometer parat hatte: "Ich fand’s gut, jeder kam zu Wort." Fußnote: Dass Stefan Raab an solchen Stellen meist wie ein Papagei alles nachplauderte, zeigt, dass er als Polittalker jenseits der Soufflierpapiere der Redaktion im Grunde recht hilflos ist.
In der Bewertung sind sich die meisten Beobachter einig: "Absolute Mehrheit" lohnt gar nicht der großen Debatten. Mag sein. Aber mit Blick darauf, dass die Politik im Lande mit der Show ebenso gerne flirtet, wie der Sieger des Abends, Wolfgang Kubicki, mit der charmanten "Jung-Unternehmerin" Delius, muss man sich nicht nur Sorgen um schleichende Qualität im Fernsehen machen. Die Gleichung Populismus = Quote = Erfolg/Geld ist auch fürs Politbusiness verlockend.
Und auch wenn nicht zu erwarten ist, dass Raabs neue Show – die nächste Folge ist erst für 2013 avisiert – die Medienlandschaft revolutioniert oder das Interesse an einer Teilnahme bei den Politikern oberhalb der B-Kaste wächst: Erosion ist ein schleichender Prozess. Und Politik kann auch Hure sein. Vom griechischen Staatsdenker Polybios stammt der Begriff der Ochlokratie als Verfallsform der Demokratie. Ochlotelevision gab’s in der Antike noch nicht.
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