BZ-Interview
Wie Therapeuten mit Jugendlichen mit extremen Weltanschauungen umgehen
Wie schützt man sich vor der Propaganda von Populisten? Die Therapeuten Niklas Gebele und Markus Löble therapieren junge Menschen mit extremer Weltanschauung. Im Interview erzählen sie, wie sie das machen.
Mo, 16. Apr 2018, 14:59 Uhr
Liebe & Familie
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BZ: Herr Löble, Herr Gebele, was hat Ihre therapeutische Arbeit mit Extremismus und Radikalisierung zu tun?
Gebele: Als Psychotherapeuten von Kindern und Jugendlichen leisten wir Präventionsarbeit. Zu uns kommen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten: Geflüchtete, Kinder aus sozial oder emotional benachteiligten Familien oder auch Jugendliche mit extremen Ansichten. Allen ist das Gefühl gemein, benachteiligt zu sein – der Nährboden für Radikalisierung und populistische Ansichten.
Löble: Wir sind täglich mit gesellschaftspolitischen Problemen konfrontiert: Wie vermitteln wir einem Kind, dessen Vater seit Jahren arbeitslos ist, dass es trotzdem eine Perspektive hat? Wie stärken wir das Selbstwertgefühl eines jungen, womöglich traumatisierten Flüchtlings, der ohne Familie hierher kam? Die politische Kultur unseres Landes kann uns nicht egal sein, denn sie wirkt sich an allen Ecken und Enden auf unsere Arbeit aus.
Löble: Jeder hat das Grundbedürfnis nach Identität und braucht das Gefühl, dass er etwas an seiner Lage ändern kann – wir Psychologen sprechen von Selbstwirksamkeit. Wenn sich aber ein Mensch benachteiligt oder ohnmächtig fühlt – und dabei kann er durchaus gebildet und wohlhabend sein –, dann erlebt er eine Art Kränkung und wird dadurch empfänglich für die Botschaften der Populisten. Denn sie liefern nicht nur eine Antwort auf die Frage, wer Schuld an seiner Misere ist, mit Argumenten und allem Drum und Dran. Sie stiften auch Identität und eine vermeintliche Selbstwirksamkeit: Man geht in der Gruppe zum Protest, bestärkt sich gegenseitig in sozialen Netzwerken und, und, und.
BZ: Aber wenn jemand gebildet ist, müsste er doch zum Beispiel wissen, dass nicht "die" Juden oder "die" Flüchtlinge an allem schuld sind, und dass der Klimawandel eine schlichte Tatsache ist.
Gebele: Wenn das, was ich weiß, nicht zu dem passt, was ich will oder gewohnt bin, verschiebe ich unbewusst meinen Blickwinkel. Diese sogenannte kognitive Dissonanz erleben wir im Kleinen andauernd, wenn ich beispielsweise zu Fuß zur Arbeit gehen könnte, aber aus Bequemlichkeit trotzdem das Auto nehme. Diesen Widerspruch löse ich auf, indem ich mir Gründe für mein Handeln zurechtlege. Eine energiesparende Vorgehensweise, die evolutionsbiologisch begründet und oft auch sinnvoll ist.
Löble: Deshalb neigt der Mensch auch zu vereinfachten Fragen und Antworten. Steht er nämlich vor einer schwer beantwortbaren Frage, wie "Was ist zu tun, um meine Lage zu verbessern?", bietet sich als Alternative die simplere Schuldfrage an. Denn das Dilemma, eine Frage und keine befriedigende Antwort darauf zu haben, ist nur schwer auszuhalten. Hinzu kommt, dass der Mensch träge ist: Sagt seine Peergroup, dass der Islam unser Abendland bedroht, wird er sich kaum aufraffen, einem Muslim zu begegnen, um sich ein eigenes Bild zu machen.
Gebele: Natürlich. Aber nicht, indem Angela Merkel den Leuten mehr zuhört und ihre Ängste ernst nimmt. Das erwartet doch niemand ernsthaft. Die Politik muss vielmehr sicherstellen, dass es genügend Personen gibt, die sich dieser Leute auf Augenhöhe annehmen. Das ist, im Klischee gesprochen, der Kampfsporttrainer, der die Wut des geflüchteten Jugendlichen versteht, vielleicht weil er selbst einer war. Findet der Junge beim Training mit anderen eine soziale Identität und das Gefühl, etwas wert zu sein, dann kann er von den extremistischen Kreisen wieder abrücken. Daher braucht es vor allem genügend Sozialarbeiter, Lehrer, Psychotherapeuten sowie gut ausgestattete Jugendhäuser und Vereine.
Löble: Das Gleiche gilt für den Realschullehrer, der die AfD wählt, oder den Neonazi. Da sind wir Bürger gefragt, mit diesen Menschen das Gespräch zu suchen und ihnen Alternativen anzubieten, sei es über den Fußballverein oder bei der Dorfhockete.
BZ: Sie behandeln auch junge Extremisten.
Löble: Wir therapieren natürlich nicht deren Ansichten, sondern die psychische Störung, wegen der sie zu uns kommen. Aber dazu gehört auch, zu zeigen, wie man sich selbst helfen kann – Stichwort Selbstwirksamkeit. Der Patient lernt wieder zu erleben, wer er ist, was er kann. Wir helfen ihm auch dabei, seine Identität auszugestalten. Vieles, was wir in der Therapie tun, deckt sich mit den Deradikalisierungsmaßnahmen. Darum haben wir immer die Hoffnung, dass der Patient nach der Therapie von seinen extremen Ansichten abrückt.
BZ: Herr Gebele, Sie verwenden bei Ihrer Arbeit Gestalten aus der Popkultur wie Darth Vader oder Lord Voldemort. Warum?
Gebele: Darth Vader kennt jeder Junge – und deren Väter ebenso. Ich benutze aber genauso "Game of Thrones" oder Disney-Prinzessinnen, weil sie mich selbst interessieren, und der Patient und ich somit etwas gemein haben. Gleichzeitig sind sie eine ideale Grundlage, um Patienten in der Tiefe zu erreichen. Denn immer geht es darin um existenzielle Bedürfnisse nach Identität und Zugehörigkeit. Nehmen wir Anakin Skywalker, einen Jungen, der vaterlos aufwächst und früh von der Mutter getrennt wird, weil die Jedi ihn zu einer Art Kindersoldat ausbilden wollen. Durch den Beziehungsverlust entwickelt Anakin jedoch Ängste, für die die Jedi keinerlei Verständnis aufbringen. Die dunkle Seite der Macht aber findet seine Emotionen legitim – und verführt den bindungsunsicheren Anakin am Ende dazu, der dunklen Seite beizutreten. Ein Stoff, der vieles davon abbildet, was Kinder umtreibt.
BZ: Gibt es etwas, das Eltern dafür tun können, um ihre Kinder vor populistischen Ansichten zu bewahren?
Löble: Der erste Rat ist immer, selbst Vorbild zu sein, etwa im Umgang mit Andersartigkeit oder beim Aushalten von Widersprüchen. Das ist viel effektiver, als den Kindern Vorträge zu halten. Außerdem rate ich davon ab, Kinder auf Privatschulen zu schicken. In Ravensburg, wo ich lange gelebt habe, gab es eine christliche Mädchenschule, eine Waldorfschule, eine allgemeine christliche Schule und die Vorstadtschule für alle anderen, die meine beiden Töchter besuchten. Wer aber mit 24 Jahren zum ersten Mal einem Muslim begegnet, hat eher Vorbehalte als ein Kita-Kind, das schon im Sandkasten interkulturelle Erfahrungen sammelt.
Gebele: Spaltung und Abgrenzung fördern Vorurteile und Radikalisierung – Kontakt und Kooperation auf Augenhöhe wirken dagegen präventiv. Ich sehe mit Sorge, wenn Eltern ihre Kinder weder in die Kita mit den Flüchtlingskindern geben wollen noch in Vereine, in denen sie womöglich mit AfD- oder Nazi-Jugendlichen konfrontiert sind. Tatsache ist: Wer sich früh mit Andersartigkeit auseinandersetzt, kann Dissonanzen besser aushalten und moderate, ausgleichende Antworten auf komplexe Probleme finden.
Löble: Wir raten Eltern außerdem, ihrem Kind mehrere Umfelder anzubieten, mit denen sie sich identifizieren können. Sie sollten es ins Akkordeonensemble und zum Sportverein schicken. Ist die Schule nicht von Erfolg gekrönt, kann das Kind immer noch sagen: Ich bin ein guter Handballer. So entsteht erst gar kein Anreiz, in anderen Kreisen nach Identität zu suchen.
BZ: Können Sie aus Ihrer Arbeit noch weitere Empfehlungen an die Politik ableiten?
Löble: Die Politik sollte meiner Ansicht nach den Familiennachzug möglich machen. Familie ist nicht ersetzbar und die beste Therapie für die jungen Flüchtlinge. Andernfalls haben wir künftig noch mehr kranke oder frustrierte Menschen, die uns alle teuer zu stehen kommen.
Der 35-jährige Psychologe ist Leiter der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Christophsbads in Göppingen. Diesen April öffnet er seine eigene Praxis in Karlsruhe. Gebele ist privat ein begeisterter Cineast und hat sich in diesem Rahmen intensiv mit der Frage beschäftigt, was Popkultur uns über Radikalisierung lehren kann.
Der 57-jährige Mediziner ist seit 15 Jahren Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Christophsbads. Löble war selbst Flüchtlingskind – seine Mutter stammt aus Schlesien. Als junger Katholik im pietistisch-evangelischen Schwaben machte er früh Erfahrungen mit sozialer Ausgrenzung. Auch deshalb fühlt er sich Außenseitern nahe.
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