Account/Login

Abgestraft wegen Abi-Streich

Am Freiburger Rotteck-Gymnasium fand dieses Jahr der Abiball ohne Rektorin statt - Streik wegen "Enttäuschung".  

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen

"Unerwarteter Schlag, Schelmenstück" - so definiert das "Etymologische Wörterbuch" das Wort "Streich". Gängig ist mittlerweile längst die Tradition des sogenannten Abi-Streichs. In den Tagen nach der letzten Prüfung stellen dabei die Abiturienten die Regeln der Schule noch einmal so richtig auf den Kopf und verabschieden sich mit einem mehr oder weniger gelungenen Gag, der oft genug in eine Party zur besten Schulzeit mündet - der Unterricht fällt dann notgedrungen für alle Schüler aus. Nicht anders war es beim diesjährigen Abi-Streich am Rotteck-Gymnasium.

Längst nicht mehr ist der "unerwartete Streich" wirklich unerwartet: im Lauf der Jahre hat sich an den meisten Schulen die Gepflogenheit entwickelt, den Abi-Streich im Vorfeld gar mit der Schulleitung zu planen. So forderte denn auch Rotteck-Rektorin Sybille Bauer auf einer Vollversammlung der Abiturienten dazu auf, den Streich erst in der vierten Stunde anzusetzen. Würde der Streich vorher beginnen, so ihre Begründung, würde die Aktion zu hohen Unterrichtsausfall mit sich bringen. Ein Argument, das angesichts der gravierenden regulären Unterrichtsausfälle lächerlich erscheinen muss - und im übrigen in den Vorjahren nicht zur Geltung kam - häufig genug haben bislang die Rotteck-Streiche ungehindert bereits in der ersten Stunde begonnen.

Entgegen der Forderung der Schulleiterin beschlossen die Abiturienten untereinander einstimmig, den Streich in der ersten Stunde zu beginnen. Allein schon die Aufbauten für den Streich hätten den Schülern der anderen Klassen die Streich-Idee sonst beim Betreten der Schule schon "verraten". In der Nacht vor dem Streich hatten die Abiturienten - mit Wissen des Hausmeisters und der Schulleiterin - ihre Aktion vorbereitet. Es wurde viel Zeit und Arbeit in einen Bühnenaufbau samt Laufsteg in der Aula gesteckt, Musik- und Lichtanlage wurden installiert und das Erdgeschoss mit viel Mühe dekoriert: Partystimmung war garantiert. Und das auch für die Lehrer. Einige hatten - durchaus in Übereinstimmung mit den Abiturienten - vorsorglich darum gebeten, dass hier kein niveauloser Racheakt inszeniert werden möge. Zum Abi-Streich-2001 bekamen sie mittendrin, nahe der Bühne, eine "Lehrerecke" samt Frühstücksbuffet.

Am Morgen dann beginnt der Streich - gleich mit der ersten Stunde. Alle Schüler werden von den Abiturienten direkt auf den Pausenhof geführt, wo sie eine kurze Wasserschlacht mit Wasserbomben und Spritzpistolen erwartet. Nach einer Viertelstunde stürmt dann die gesamte Schülerschar und auch die "verschonten" Lehrer in die Aula, denn statt Pauken steht von nun an Party auf dem Stundenplan. Party, das sollte ursprünglich heißen, Musik, aber auch Spiele, Karaoke, Quiz und Tanz.

Aber schon nach kurzer Zeit spricht sich das Gerücht herum, die Veranstaltung müsse auf der Stelle abgebrochen werden. Schulleiterin Bauer hatte angeblich - weitgehend ungehört - schon bei Teil eins der Veranstaltung auf dem Pausenhof per Durchsage alle Schüler aufgefordert, sich sofort in den Unterricht zu begeben. Der Streich geht - wie nicht anders zu erwarten - weiter. Einige Abiturienten bekommen die nächste Durchsagen-Aufforderung der Rektorin mit und treffen gegen Viertel nach acht mit ihr zusammen. Sie droht, dem Abiball fernzubleiben und die Zeugnisverleihung ausfallen zu lassen, falls der Streich nicht gemäß ihrer Forderung beendet und erst in der vierten Stunde fortgesetzt würde.

Das heißt, es wird nicht verhandelt, sondern die Schulleiterin führt das letzte Bisschen Macht, die sie noch über die ehemaligen Schüler hat, ins Feld. Die reagieren nicht auf die "Erpressung". Erst als sich die Lehrer - wohlwollende und ablehnende - von der Aktion zurückziehen, weil sie Order haben, Unterricht zu halten, brechen die Abiturienten doch den Streich ab. Er ist, so die meisten Schüler, die tatsächlich für anderthalb Stunden in den Unterricht zurückkehrten, "in die Hose gegangen".

Was ursprünglich als außerordentlicher Abschied geplant war, endete mit Frustration und enttäuschter Distanzierung von ihrer Schule. Und als ob der enttäuschende Abbruch nicht schon genug gewesen wäre, teilte Rektorin Bauer den Lehrern und Elternvertretern in einem unvorstellbar aktuellen Brief - der entsprechende Fax-Ausdruck trägt die Uhrzeit acht Uhr zwölf - mit, dass sie tatsächlich an der Abiturfeier nicht teilnehmen werde, weil sie sich "getäuscht" fühle. So bekamen also die Schulabsolventen ihre Abiturzeugnisse nicht beim Abiball von der Rektorin feierlich in Anwesenheit von Eltern und Lehrern überreicht, sondern mussten sie am darauf folgenden Montag formlos im Sekretariat abholen. Eine riesige Enttäuschung nicht nur für die Schulabgänger, sondern auch für die stolzen Eltern, Freunde und Verwandten.

"Für mich war das Verhalten der Rektorin eine große Enttäuschung." Alexander Feninger (Vater)

Alexander Feninger, Vater einer der betroffenen Abiturientinnen, bemängelt fehlendes pädagogisches Feingefühl und hätte sich mehr Menschlichkeit von der Schulleiterin in dieser Situation gewünscht: "Für mich war das Verhalten der Rektorin eine unheimliche Enttäuschung. Schließlich hat die Schule nicht nur die Aufgabe, Wissen zu vermitteln, sondern sie muss auch dem erzieherischen Auftrag nachkommen. Das passiert nicht, indem auf diese Art Verbote ausgesprochen werden." Und auch Elternvertreterin Monika Bethke-Bühler findet, Sybille Bauer müsse gerade in ihrer leitenden Position mit Konflikten sachlicher umgehen und daraus niemals ein persönliches Problem machen, "unter dem dann Schüler, Lehrer und Eltern zu leiden haben." Schließlich ist das Abitur doch ein sehr entscheidender Schritt und gleichzeitig einer der Wendepunkte im Leben, die in guter Erinnerung bleiben sollten.

Dieses einmalige Über-die-Stränge-schlagen in einem Schülerleben, das eigentlich immer mit der Übertretung der nicht immer nachvollziehbaren Schulregeln einhergeht, findet nicht nur bei den Schülern Beifall. Auch etliche der Eltern werten die ungut eskalierte Situation als einen Beleg, dass doch eine gewisse Portion Mut dazu gehört, sich gegen Autoritäten zu behaupten. Es stellt sich im übrigen die Frage, ob mit der Befolgung des kompromisslosen Rektorinnen-Diktates die Idee und der Zweck eines "Streiches" wirklich erfüllt gewesen wäre. Vielmehr käme man so doch eher zu einer neuen Definition: Streich als "erwarteter Schlag und von der Obrigkeit genehmigter Handstreich".

Ressort: Zisch

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel