Zukunft aus der Vergangenheit
DRAMA: "Die Schüler der Madame Anne" handelt von Jugendlichen in einem Problemviertel.
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Er ist Malik, einer der schwarzen Jungs in dieser multiethnischen, multireligiösen Klasse, die vor allem eines eint: eine am Léon Blum bisher unerreichte Meisterschaft in den Disziplinen Schwänzen, Nachsitzen und Unterrichtverweise. Und natürlich das kollektive Aufstöhnen, als die neue Klassenlehrerin Madame Gueguen (Ariane Ascaride) von der Teilnahme am nationalen Wettbewerb "Die Kinder und Jugendlichen im Konzentrationslagersystem der Nazis" erzählt: Für so was nachmittags nochmal freiwillig in die Schule kommen? Und überhaupt, dafür sind wir zu dumm, das kann ja nur in einer fürchterlichen Blamage enden. Dann sind sie aber doch fast alle dabei, sogar die aufsässige Mélanie (Noémie Merlant), recherchieren gemeinsam, besuchen eine Holocaust-Gedenkstätte und sind tief berührt von den Erzählungen des Zeitzeugen Léon Zyguel, der als 15-Jähriger ins Konzentrationslager kam. Dank der geduldigen Hebammendienste ihrer Lehrerin überwinden sie ihre eigenen rassistischen Vorbehalte und seit Jahren zementierten Kleingruppenstrukturen, lernen Engagement, Kooperation und Zivilcourage. Am Ende steht die gemeinsame Fahrt nach Paris und der erste Preis für ihre Arbeit.
Ein Schulfilm ohne "Fack ju Göhte"-Humor, aber auch ohne die Blut-und-Verbrechen-Topoi, die Dramen über soziale Brennpunkte üblicherweise auffahren – das ist schon mal nicht schlecht. Und eine Lehrerin obendrein, wie sie Ariane Ascaride wunderbar uneitel verkörpert: frei von sogenannter Coolness und Anbiederung an die Jugendlichen, dafür voller Empathie und Vertrauen in ihre Schüler. Auch die sind allesamt gut besetzt, machen aufwallende Wut, mutlose Wurstigkeit und pubertäres Kalauern ebenso glaubwürdig wie tiefe Nachdenklichkeit und das Leuchten des Gelingens.
Allerdings hätte man doch gerne ein bisschen mehr erfahren von diesen jungen Leuten, die da begreifen, wie viel die Geschichte zu tun hat mit ihrem eigenen Leben. Welchem Leben und inwiefern? Nur kurz blitzt hier und da ein biografisches Detail auf, wenn wir etwa Mélanies trinkende Mutter sehen oder Maliks Enttäuschung, als der Vater seiner Freundin ihm den Gruß verweigert. Vollends Oliver (Mohamed Seddiki), der zum Islam konvertiert, sich fortan Brahim nennt und als einziger die Teilnahme am Klassenprojekt zum Nationalsozialismus verweigert (warum?), macht augenfällig, wie wenig dieser Film im Grunde an seinen Hauptfiguren interessiert ist. Aber es geht in "Die Schüler der Madame Anne" ja auch nicht um unterschiedliche Schicksale und Lebensentwürfe in der Banlieue.
Emotionales Zentrum ist die Begegnung der Jugendlichen mit Léon Zyguel, der ergriffen ist von ihren "schönen Gesichtern": Dem kann man sich als Zuschauer nur anschließen, zumal die Tränen der jungen Darsteller offenbar echt sind. Und so ist "Die Schüler der Madame Anne" vor allem ein Identifikationsangebot für junge Leute, die man heutzutage mit Zeitzeugenvorträgen in Gemeindezentren kaum noch erreichen kann. Aber sehr wohl mit einem dynamischen, optimistischen Film über die Zukunft, die in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit steckt.
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