Probenbesuch beim Theater im Steinbruch
Zeitfresser im Handy-Zeitalter
Heiß ist es, und in der heißen Phase sind auch die Proben zum Theaterstück "Momo" nach dem Buch von Michael Ende. Gefeilt wird an Rhythmus, am Ausdruck, an sprachlichen Feinheiten – da vergeht die Zeit wie im Flug.
Mo, 19. Jun 2017, 16:46 Uhr
Emmendingen
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EMMENDINGEN. Alle waren in den Pfingstferien. Oder im Freibad. Nur ein kleines Häuflein aus Emmendingen und Umgebung nicht: 31 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 23 Jahren vom Theater im Steinbruch. Denn für sie kam mit den Ferien und der brütenden Hitze die heiße Zeit der Proben; nur fünf Tage waren spielfrei. Die Zeit vergeht wie im Flug bei den Proben des Kinderstücks "Momo" nach dem gleichnamigen Buch von Michael Ende. Womit wir beim Thema wären, denn da geht es um Zeit sparen, Zeit verschwenden – oder Zeit verschenken.
Zeit ist Geld, das kennt man doch – und wie man sie spart, das wissen die "grauen Damen" ganz genau. Anders als in Buch und Film regieren – ensemblebedingt – hier nämlich neun Frauen die Zeitsparkasse und statt Zigarren "rauchen" sie Zigarettenattrappen; schließlich sind die Darsteller beim Kinderstück zwischen zehn und 23 Jahren jung. Doch das sind nicht die einzigen Besonderheiten. Schildkröte Kassiopeia bekommt ein Laufrad, weil es auf einer Freilichtbühne problematisch wäre, dauernd auf allen Vieren zu gehen; und weil sie in Buch und Film nicht spricht, sondern über Worte auf ihrem Panzer kommuniziert, hat Regisseurin Simone Allweyer ihrer Kassiopeia kurzerhand Gebärdensprache verordnet. Damit auch die Mehrheit, die dies nicht beherrscht, dem Stück folgen kann, wiederholen Kassiopeias jeweilige Gegenüber, was die kluge Kröte "sagt".
bekommt ein Laufrad
Was auffällt: Als "Momo"1973 erschien, sprach noch keiner von Handys. In der Version im Theater im Steinbruch sind sie (fast) allgegenwärtig, eben ganz wie im richtigen Leben: Die amerikanische Touristinnen nutzen sie, es werden Selfies gemacht und die Kinder haben Smartphones ("Ich kann dich nicht verstehen, mein Handy ist so laut!"), Tabletts und eine Märchen-App. Früher hat ja der Vater die Märchen vorgelesen, aber der hat keine Zeit mehr...
Simone Allweyer lässt ihr junges Team flüssig spielen, nur selten unterbricht sie, ruft mal ein "Super!" dazwischen oder kritisiert einen Texthänger. Nur "Lauter!" ruft sie oft. "Ihr müsst schreien", erklärt sie in der Manöverkritik. "Denkt immer dran ’Ohrenweh, Ohrenweh!’" Aber das umgekehrte Extrem ist auch nichts. "Du bist zu laut – da versteht man den Text nicht mehr", sagt sie einem anderen Darsteller.
Jetzt, in der Endphase der Proben, wird vor allem an der Abstimmung gearbeitet. "Der Ablauf ist klar, aber am Timing müssen wir arbeiten", sagt Allweyer. Manches geht zu schnell – "langsamer sprechen!" – anderes zu langsam, der Rhythmus stimmt noch nicht und die Musik muss passgenau einsetzen: "Jetzt schon Tick-Tack!"
"Mehr Action", lautet die nächste Forderung – das gilt für Szenen wie die Demonstration und vor allem die mit dem amerikanischen Touristinnen. Wenn sie den Fremdenführer anhimmeln und in Begeisterung ausbrechen, muss ordentlich was los sein: Beim Fotografieren ’Cheese!’ schreien. "Ihr könnt doch alle Englisch, überlegt euch englische Ausdrücke, etwa ’marvellous’", bittet die Regisseurin. Und: Bitte "ciao!" statt tschüss oder ade – wir sind ja in Italien.
Die Kreativität der jungen Schauspieler fordert Simone Allweyer auch für die Szene, in der Momos Freunde ihr von dem Wenigen, das sie haben, etwas abgeben: Nicht jeder soll ’Momo, ich habe für dich ...’ rufen. "Überlegt euch jeder was anderes – besprecht das gleich!" sagt Allweyer. Das gilt auch für die Reaktion auf die Streitszene. Wie sollen die ’Zuschauer’ auf der Bühne reagieren? "Die Kinder könnten Angst haben, die Eltern kennen das schon", schlägt Amelie vor. Was noch? "Das ist peinlich, Papa streitet sich", sagt Greta. Dann sprudeln die Vorschläge, wie die Kinder reagieren könnten. "Klasse", sagt Allweyer dazu, "zeigt mir das – ich muss es an eurer Körperhaltung sehen!"
Die muss bei allen stimmen, auch wenn sie gerade nicht im Mittelpunkt stehen. Die Arme der grauen Damen müssen exakt angewinkelt sein, sie rauchen fast permanent und gleichzeitig, die Perückenhaare (ja, die Ärmsten werden bei all der Hitze Perücken tragen – für die zweite Probe dürfen sie sie aber abnehmen) dürfen nicht die Gesichter verdecken – und all das muss in Fleisch und Blut übergehen. Wie das Abnehmen von Schmuck: "Macht das gleich bei den Proben, weg mit Haargummi, Fußkettchen und Uhren, dann braucht ihr euch bei den Vorstellungen nicht drum zu kümmern und macht es automatisch."
Und schon sind fast zwei Stunden verflogen, der nächste Durchlauf steht an. Gut genutzte Zeit. Fazit: Besser als mit einem Besuch des Kindertheaters "Momo" kann man seine Zeit kaum verwenden – nicht nur, weil die Geschichte so gut in die heutige Zeit passt. Tipp für alle, die tagsüber keine Zeit haben: Es gibt auch eine Abendvorstellung (14. Juli).