Zahnlos im Vorteil
Wegen massiver Wilderei wachsen vielen Elefantenkühen im afrikanischen Mosambik keine Stoßzähne mehr /.
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Ursache waren Veränderungen in den Teilen des Erbguts, die bei allen Säugetieren wichtig für die Entwicklung der Zähne sind, berichten Shane Campbell-Staton von der Princeton-Universität im US-Bundesstaat New Jersey und sein Team jetzt in der Wissenschaftszeitschrift Science. Nach den Analysen der Gruppe hatten vor allem Weibchen mit solchen Veränderungen die massive Elfenbeinwilderei beider Kriegsparteien überlebt und diese Erbeigenschaften an ihre weiblichen Nachkommen vererbt.
"Wir beobachten auch in der Serengeti schon länger, dass häufiger als früher Elefanten mit kleineren oder gar keinen Stoßzähnen durch die Savanne stapfen", sagt Dennis Rentsch, der 15 Jahre lang für die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) in Tansania arbeitete und seit Anfang 2021 stellvertretender Afrika-Leiter der ZGF in Frankfurt ist. "Elefanten mit großen Stoßzähnen leben heutzutage vor allem in den am besten geschützten Gebieten", erklärt der Naturschutzbiologe. In solchen Reservaten würden Flugzeuge und Antiwilderertrupps von Kommandozentralen aus gelenkt, ergänzt ZGF-Geschäftsführer Christof Schenck. "Damit übernehmen staatliche Naturschutzbehörden wichtige Sicherheitsaufgaben."
In diesen Hochsicherheitsgebieten haben Wilderer schlechte Karten. In ungeschützteren Regionen dagegen werden die Dickhäuter nach wie vor wegen ihres Elfenbeins geschossen – und der Anteil der Tiere ohne Stoßzähne steigt deutlich an. "Bisher aber fehlten umfangreiche harte Daten und Hintergründe für einen Zusammenhang zwischen Wilderei und den Elefanten ohne Stoßzähne", sagt Schenck.
Diese liefert jetzt das US-Team. Lebten vor dem Bürgerkrieg 1972 im Gorongosa-Nationalpark noch 2542 Elefanten, war nach dem Abflauen der Kämpfe mit 242 Tieren nicht einmal ein Zehntel des Bestandes übrig. Gleichzeitig hatte sich der Vorkriegsanteil der Elefantenkühe ohne Stoßzähne von 18,5 Prozent auf 50,9 Prozent fast verdreifacht. Der Bürgerkrieg war zwischen der von der Sowjetunion unterstützten Befreiungsbewegung und Regierungspartei Frelimo und den konservativen Renamo-Rebellen entflammt, die ausgerechnet im Gorongosa-Nationalpark ihr Hauptquartier errichteten. Beide Kriegsparteien wilderten Elefanten und finanzierten sich mit dem Verkauf der Stoßzähne. Nicht nur im Nationalpark, sondern im ganzen Land brachen die Bestände der Dickhäuter daher zusammen.
Da die Elefanten ohne Elfenbein für die Wilderer nicht interessant waren, lag ihre Überlebenswahrscheinlichkeit im Bürgerkrieg rund fünfmal höher als bei ihren Artgenossen mit Stoßzähnen, ermittelten Shane Campbell-Staton und sein Team. Damit aber hatte sich eine wichtige Grundlage für die Evolution der Elefanten geändert. Normalerweise sind Elefanten mit Stoßzähnen klar im Vorteil: "So sind die Stoßzähne für die Dickhäuter ein wichtiges Werkzeug, mit dem sie zum Beispiel Löcher graben, um an Grundwasser heranzukommen", sagt Dennis Rentsch. "In Mangelzeiten schälen Elefanten mit den Stoßzähnen die Rinde der Baobab-Bäume ab und kommen so an Nahrung", ergänzt Schenck. Außerdem können sie mit den weit aus dem Kiefer herauswachsenden Schneidezähnen auch nahrhafte Zweige aus den oberen Baumetagen erreichen. "Und Elefantenbullen kämpfen mit ihren Stoßzähnen auch gegen konkurrierende Artgenossen", erklärt der Zoologe weiter. In früheren Zeiten setzten sich also Elefanten mit Stoßzähnen evolutionär durch, weshalb vor dem Bürgerkrieg die allermeisten Elefanten in Mosambik Stoßzähne hatten.
Die massive Wilderei aber kehrte die Voraussetzungen um, plötzlich hatte die Minderheit der Elefanten ohne Stoßzähne einen Überlebensvorteil und ihr Anteil stieg. Auch diesen Vorteil gaben die Elterntiere genetisch an den Nachwuchs weiter – so dass der Anteil der Weibchen ohne Stoßzähne bei den nach dem Bürgerkrieg geborenen Elefanten kräftig anstieg.
Mit aufwändigen Analysen des Erbguts konnte die Gruppe um Shane Campbell-Staton einen Teil der genetischen Grundlagen dafür klären. Besonders wichtig waren offensichtlich die beiden Gene Amelx und MEP1 Alpha, die bei den Säugetieren eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Zähne spielen. Während sich MEP1 Alpha auf dem Elefantenchromosom 1 befindet, liegt Amelx auf dem X-Chromosom, von dem weibliche Säugetiere normalerweise zwei besitzen. Beim Menschen gibt es ein Krankheitsbild, bei dem den betroffenen Frauen ein ganzer Abschnitt des X-Chromosoms fehlt, auf dem sich auch das Amelx-Gen befindet. Dadurch bildet sich der Zahnschmelz schlechter aus, die Zähne bleiben kleiner, sind bräunlich verfärbt und neigen häufiger zu Karies als bei Menschen, die nicht an diesem Syndrom leiden. Männliche Embryonen mit diesem Erbgutfehler entwickeln sich erst gar nicht: Denn in dem fehlenden Abschnitt auf dem X-Chromosom befinden sich auch ein oder mehrere lebenswichtige andere Gene. Frauen können das durch das zweite X-Chromosom ausgleichen, bei männlichen Embryonen fehlen diese Gene dann einfach. Das könnte erklären, weshalb die US-Forscher nur Elefantenkühe, aber keine Bullen ohne Stoßzähne beobachten konnten.
Die Studie macht deutlich, was Artenschützer schon lange anprangern: Eine übermäßige Jagd kann nicht nur Arten dezimieren oder sogar ausrotten, sondern kann auch die Evolution beeinflussen. Und das in atemberaubender Geschwindigkeit: Schließlich dauern solche Veränderungen in der Natur oft viele Jahrtausende, während die Wilderei die Eigenschaften der Elefanten bereits in wenigen Jahren grundlegend verändert hat.
Ähnliches beobachtet auch Robert Arlinghaus am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin: Weil kleine Fische durch die Maschen der Fischernetze leichter entkommen als größere Artgenossen, selektiert die Fischerei auf kleinere Exemplare. Mit dem Ergebnis, dass eifrig befischte Arten immer kleiner werden. "Um diesen von uns Menschen in wenigen Jahren ausgelösten Schritt der Evolution rückgängig zu machen, kann es aber viele Jahrzehnte und womöglich Jahrhunderte dauern – oder der Ausgangszustand kann nie wieder erreicht werden, weil sich inzwischen andere Umweltbedingungen geändert haben", gibt Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt zu bedenken. Sollte das bei Elefanten ähnlich sein, könnten die Auswirkungen der Wilderei noch lange sichtbar bleiben.
Die Wilderei von Nashörnern scheint allerdings bisher noch keine Tiere ohne das begehrte Horn hervorzubringen, das zu Pulver zerrieben besonders in Vietnam als traditionelles Medikament heiß begehrt ist. "Dieses Horn ist ja kein Zahn, sondern besteht aus dem gleichen Material wie die Fingernägel von Menschen – und wächst auch ähnlich gut nach", erklärt Dennis Rentsch vom ZGF in Frankfurt. Das aber bedeutet nicht nur, dass die Hörner der Tiere als Medikament ähnlich gut wirken wie das Kauen von Fingernägeln – also gar nicht. Sondern auch, dass Gene wie Amelx und MEP1 Alpha keine Rolle spielen dürften.
Ein Beispiel, dass die Jagd sich trotzdem auch auf Hörner auswirken kann, steht ebenfalls in Science: Bei den Dickhornschafen in Kanada, die ebenfalls stark bejagt werden, werden die Hörner langsam kleiner, berichten Chris Darimont von der University of Victoria in Kanada und Fanie Pelletier von der Université de Sherbrooke in Kanada. Werden Tierarten übernutzt, scheinen also rasche Veränderungen der sonst eher gemächlichen Evolution gar nicht so selten zu sein. Zumindest, wenn die betroffenen Arten nicht gleich ganz ausgerottet werden.
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