Gewinner Schreibwettbewerb Frühjahr 2014
"Wir haben gelacht und geweint"
Ada Appelt taucht zusammen mit ihrer Oma in deren Kindheit ein – in die Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Ada Appelt, Klasse 8b, Goethe-Gymnasium & Freiburg
Mo, 26. Mai 2014, 12:02 Uhr
Schreibwettbewerb Zischup
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Meine Großmutter ist 1928 in Jugoslawien geboren. Sie hat den Krieg aus einer Sicht erlebt, die mich, wie soll ich sagen, fasziniert. Sie hat den Krieg nämlich auf Reisen erlebt. Und so sind zwei fremde Welten vereint: Reisen und Erinnerungen.
Ich gebe zu, es ist schon ein wenig sarkastisch, dass ich mich am Ostersonntag bei strahlendem Sonnenschein mit meiner Oma zusammensetze, um über ihre kriegsgeprägte Jugend zu sprechen.
Brav halte ich Aufnahmegerät und Schreibblock bereit, als sie anfängt.
Es ist eine Kinderbuchkindheit: Meine Oma wächst dreisprachig mit ihrer jüngeren Schwester und vielen Tieren auf einem Bauernhof, den ihr Vater geerbt hat, in Neosin, in der Nähe von Belgrad im heutigen Serbien, auf. Sie besitzen riesige Melonenfelder und im Sommer werden die Früchte im Brunnen gekühlt. Außerdem dürfen sie und ihre Schwester die Bienenwaben nach dem Schleudern ausschlecken.
Doch mit sieben hört ihr Leben auf dem Ponyhof auf. Sie soll in eine deutsche Schule, die es in ihrem kleinen Heimatdorf aber nicht gibt. Und so kommt sie zu ihrem strengen Onkel, bei dem es ihr überhaupt nicht gefällt. Alleine die Cousins und Cousinen machen ihr das Leben erträglich. Sie vermisst ihre Familie und das alte Leben. Mir fällt auf, dass sich ihr Blick verdüstert, als sie über ihren Onkel spricht.
Im Jahr 1944, also mitten im Krieg, kehrt sie in ihre Heimat zurück um eine Ausbildung als Kindergärtnerin anzufangen. Zuerst bleibt es friedlich zwischen den Deutschen und den Jugoslawen. Doch nach und nach wird die Stimmung immer aggressiver. Und so beschließt sie, als Hausmädchen nach England zu gehen.
Währenddessen wird ihr Vater erschossen, weil er deutsch ist. Alles geht dann ganz schnell. Mutter und Schwester werden in ein Arbeitslager gebracht, aus dem die Mutter mit einem Trick entfliehen kann. "Meine Mutter war ein lebenskluger und einfacher Mensch", bestätigt meine Oma: Meine Uroma scherzt immer mit den Wachen, und eines Tages, als die anderen Frauen schon zur Feldarbeit gegangen sind, packt sie eine Scheibe Speck unter ihr Kopftuch und nimmt ihre jüngste Tochter, läuft zu den Wachen und fragt sie panisch, ob die anderen Frauen schon weg waren. Es soll den Eindruck erwecken, als hätte sie die anderen Arbeiterinnen verpasst. Da die Wachen schon mit ihr gewitzelt haben, erlauben sie der Mutter, den anderen Frauen nachzulaufen. Sie flieht und kommt nach Deutschland.
Zeitgleich entscheidet sich meine Oma, aus England nach Deutschland zu gehen, da es in Deutschland sicherer ist, als ein Deutscher in England zu sein. Sie nimmt an, dass ihre Familie tot ist. Ganz alleine reist die 17-Jährige per Fuß, Schiff und Kutsche.
Meine Oma spricht nicht weiter, sie schaut nur in die Ferne. Zaghaft frage ich, ob sie sich einsam gefühlt hat. Nein, einsam habe sie sich nicht gefühlt. Sie sei wütend gewesen, wollte alles vergessen. Sie lacht darüber.
Mithilfe der anderen Leute und ihrer Entschlossenheit schafft sie es nach Deutschland. Doch dort war es nicht besser: kein fester Schlafplatz, keine festen Mahlzeiten. Als es eines Tages an der Tür klingelt, ist sie noch nichtsahnend. Sie traut ihren Augen nicht, als ihre Mutter und ihre Schwester vor der Tür stehen. "Wir haben gelacht und geweint, bis tief in die Nacht", sagt meine Oma. Einen kurzen Moment ist es ganz still, man hört nur die Kirchenglocken. Dann fährt meine Oma sachlich fort: "Danach habe ich eine Stelle als Kindergärtnerin bekommen."
Einen Augenblick später stehen wir am Auto, um meine Großmutter nach Hause zu fahren. Und da wird mir klar, dass ich mich geirrt habe: Diese fremde Welt ist nicht einfach nur die Mischung aus fremden Welten und Erinnerungen – es ist eine völlig fremde, beängstigende Kindheit.
Der Text hat uns sehr gut gefallen, weil man merkt, dass Ada wirklich in diese fremde Welt, die ihre Oma beschreibt, eingetaucht ist. Sie erzählt nicht nur, was ihre Oma erlebt hat – das ist ja ohnehin schon eine spannende, ergreifende Geschichte - , sondern berichtet auch, wie die Großmutter ihre Geschichte erzählt und wie sie selbst sich dabei gefühlt hat.
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