Wie viel Gedicht braucht denn der junge Mensch?
Beim Auftritt des Rilke-Projekts im Konzerthaus suchte eine JuZ-Mitarbeiterin die Jungen unter den Lyrikliebhabern.
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Haben deutsche Lehrpläne etwa für die Beantwortung dieser Frage mit einem grausamen aber eindeutigen "gar keine Gedichte" gesorgt? Haben wir jetzt Angst vor dem lyrischen Ich und denken völlig verschreckt an die immer selbe Leier zurück, mit der wir in unserer Schullaufbahn neunstrophige Gedichte auswendig lernen und sie einer nach dem anderen rot angelaufen vor der ganzen Klasse aufsagen mussten?
Mein Optimismus und mein Wille, an diesem Abend feststellen und beweisen zu können, dass es sich bei dieser schockierenden ersten Bilanz nur um eine Minderheit gedichtscheuer Schüler handelt, ist dennoch unerschütterlich! Und was gibt es an diesem Rilke-Projektabend Schöneres, als sich einfach mal Gedichte anhören zu können, ohne sie auf ihre Kadenzen untersuchen zu müssen, ohne dabei gezwungen zu sein, herauszufinden, ob es sich in Zeile zwei um einen drei- oder einen fünf-hebigen Jambus handelt. Oder vielleicht doch um einen Trochäus? Ich bin ohnehin der Meinung, dass Gedichte viel schöner wären, wenn man sie nicht operativ auseinander nähme und sie auf tiefere Bedeutungen untersuchte, auf die der Autor selbst wahrscheinlich nie gekommen wäre. Von daher bin ich an diesem Abend schon mal auf der richtigen Veranstaltung, bei der es erlaubt ist, ja man geradezu dazu aufgefordert ist, Lyrik einfach mal auf sich wirken zu lassen.
"Man kann einfach mitdenken, ohne nachzudenken." Amélie Husson, 18 Jahre
Das Durchschnittsalter der Besucher am heutigen Abend liegt schätzungsweise bei 42 Jahren. Nun ist der Preis für ein Date mit der Poesie auch nicht gerade billig: zwischen 32 und 52 Euro muss man dafür aufbringen. Für einen jungen Menschen, der zur Schule geht oder studiert, nicht gerade wenig. Eine der wenigen unter den 25-Jährigen ist Anne Munsel. Wie viel Gedicht die Jugend ihrer Meinung nach braucht? Die 20-Jährige: "Würde man es in der Schule anders rüberbringen: etwas mehr. Aber ansonsten: nicht besonders viel." Trotzdem ist sie von der videoclipartigen Darstellung von Rilkes Werken ganz angetan.
Anders als Anne ist Alexandra Müller, 18 Jahre, der Meinung, dass die Jugend von heute "viel Gedicht" braucht. Sie ist wohl eine der Wenigen, die auch außerhalb der Schulgemäuer ab und an den Mut hat, ein Gedicht anzurühren. Rilke gehört dabei - neben Brecht und Tucholsky - zu ihren Favoriten. Es sind "das Klanghafte, das Spiel mit Worten und die Art des Ausdrucks", die sie an Gedichten faszinieren. Es gibt sie also doch: Jugendliche, die sich noch mit Gedichten befassen. Zu ihnen zählt auch die 18-jährige Amélie Husson, die dank der CDs der vorangegangenen Rilke-Projekte über ihre Mutter neugierig geworden ist, und das Projekt mal live sehen wollte.
Auch sie beschäftigt sich gelegentlich in ihrer Freizeit mit Gedichten und ist fasziniert von "der ganzen Aufmachung". Sie mag die Komposition von schöner Musik, Projektion und Gedichten und dem Einklang, in dem alles zueinander steht: "Man kann einfach mitdenken, ohne darüber nachzudenken." Auch wenn der eine oder andere ab und an etwas monoton vorgetragen habe. Die wenigen jungen Leute, die dabei waren, haben es also nicht bereut. Während die vielen Jungen, die draußen geblieben sind, echt was verpasst haben. Und zwar nicht nur ein grandioses Gemisch aus Visualität, Akustik und wundervollen Gedichten von einem Menschen, der zweifelsohne etwas davon verstand, sondern die Gelegenheit, mit Literatur mal ganz anders in Berührung zu kommen. Versprecht mir wenigstens, dass wir uns dort sehen, wenn wir denn alle 40 sind!
Vera Sophie Stegner
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ