Waghalsige Aktionen
Warum Menschen auf Güterzüge klettern und sich in Lebensgefahr begeben
Für Likes riskieren manche viel. Sogar ihr eigenes Leben. Bahn und Polizei werden nicht müde, vor der Gefahr zu warnen, auf Zügen herumzuklettern. Dennoch kommt es immer wieder zu Unfällen.
Christian Thiele & André Jahnke
Fr, 7. Okt 2022, 19:26 Uhr
Panorama
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Immer wieder verunglücken Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, aber auch Erwachsene, weil sie einer Oberleitung zu nahe gekommen sind, wie eine Sprecherin der Bundespolizei in Potsdam sagt. "Ursächlich für diese Unfälle sind meist das Klettern auf Güterwagen und auf Strommasten oder das S-Bahn-Surfen." Die Bundespolizei führt einen "überwiegenden Teil der Unfälle" darauf zurück, dass jemand ein Foto auf einem Eisenbahnwaggon machen wollte – zur Mutprobe oder aus Leichtsinn.
"Fast alle Unfälle endeten mit schwersten Verletzungen oder tödlich", sagt die Sprecherin. Adrian hat bei einem solchen Unglück seinen Freund verloren. Die beiden Jugendlichen kletterten 2019 im Landkreis Deggendorf in Bayern auf einen Güterwaggon. Dann der Stromschlag. Adrian überlebte schwer verletzt. "Ich weiß nicht, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Der Tag ist weg", sagte er ein Jahr danach dem Bayerischen Rundfunk noch sichtlich bewegt. Er musste erst wieder gehen lernen. "Auf der Intensivstation wollte ich immer aufgeben."
Wie lassen sich solche Unglücke verhindern? Einen Zaun um alle Bahn-Anlagen zu setzen, was Angehörige Verunglückter oft fordern, ist laut Bahn wegen der vielen Bahnhöfe und des riesigen Gleisnetzes nicht möglich. Eine Bahnsprecherin stellt aber klar: "Es ist verboten, Bahnanlagen zu betreten."
Bahn und Bundespolizei setzen daher auf Aufklärung. Sechs Präventionsteams seien bundesweit unterwegs. "Das gemeinsame Ziel ist es, durch frühzeitige Information Unfälle zu verhindern", sagt eine Bahnsprecherin.
Bastian Peter ist einer der Präventionsbeauftragten der Bahn. Viele Jugendliche unterschätzen die Gefahr durch Selfies auf Gleisen und an Zügen, sagt er. "Durch die Stromleitungen fließen bis zu 15 000 Volt. Da muss man nicht mal die Leitungen berühren, um einen Schlag zu bekommen mit lebensgefährlichen Folgen", warnt er.
"Wer also glaubt, das Klettern auf Bahn-Waggons sei cool und ungefährlich, der irrt gewaltig", heißt es. Und dennoch wird die Gefahr "in den meisten Fällen aus Unkenntnis oftmals völlig unterschätzt", sagt die Sprecherin. Die Polizei weiß, dass Bahnanlagen "verlockende Aufenthaltsorte" sind. Es wird ein Selfie gemacht, das in sozialen Netzwerken wie Instagram hochgeladen wird.
Dafür gibt es oft viele Likes. "Diejenigen genießen dann mehr Ansehen", sagt der Medienpsychologe Frank Schwab von der Uni Würzburg. Weil viele übers Handy Zeuge der waghalsigen Aktionen werden, führe das zu einem Statusgewinn. Ein höheres Ansehen ist dem Fachmann zufolge so leichter zu erreichen, als wenn man etwa vor der Schulklasse mit einem Streich auf sich aufmerksam macht.
Doch mit Selfies an der Leiter eines Waggons gefährden Kinder und Jugendliche nach Schwabs Auffassung nicht nur sich selbst: "Das führt dazu, dass die Idee Nachahmer findet." Gegensteuern könnten Freunde und Bekannte, wenn "andere die Selbstinszenierung uncool finden und eine andere Haltung einnehmen".
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