Bundestagswahl
Warum das neue Wahlrecht der CDU weh tut
Das neue Wahlrecht ist komplex - und es kann dazu führen, dass die Gewinner der Wahlkreise mancherorts leer ausgehen. In Baden-Württemberg ist das besonders für die Union ein Problem.
Nico Pointner
Fr, 14. Feb 2025, 3:30 Uhr
Baden-Württemberg
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![Zwei Kreuzchen müssen die Wä...und Wähler am 23. Februar machen. | Foto: Sebastian Gollnow/dpa Zwei Kreuzchen müssen die Wä...und Wähler am 23. Februar machen. | Foto: Sebastian Gollnow/dpa](https://ais.badische-zeitung.de/piece/18/70/00/e8/409993448-w-640.jpg)
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.
Stuttgart (dpa/lsw) - Das neue Wahlrecht könnte dazu führen, dass Politiker die Stimmenmehrheit in ihrem Wahlkreis holen - und trotzdem nicht in den Bundestag einziehen dürfen. Es könnte sogar zur kompletten Verwaisung von Wahlkreisen kommen, ein Wahlkreis wäre dann also nicht im Bundestag vertreten. Betroffen davon ist im Südwesten die CDU. Ein Erklärungsversuch.
Was funktioniert das Wahlrecht grundsätzlich?
Die Wahlberechtigten können zwei Stimmen abgeben: Mit der Erststimme wählen sie einen Kandidaten direkt in ihrem Wahlkreis, mit der Zweitstimme eine Partei. Die Zweitstimme ist dabei entscheidend für die Sitzverteilung. Denn je mehr Zweitstimmen eine Partei bekommt, desto mehr Sitze erhält sie im Bundestag.
Wenn eine Partei mehr Direktmandate holt als Zweitstimmen, durften die Gewinner der Direktmandate bislang dennoch einziehen - auf einem sogenannten Überhangmandat. Da dadurch aber wieder die Gesamtaufteilung im Bundestag verzerrt wurde, erhielten die anderen Parteien Ausgleichsmandate. Bisher war es also so, dass derjenige, der ein Direktmandat gewann, seinen Sitz im Bundestag sicher hatte.
Was genau ändert sich nun?
Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ist nun Schluss. Um ein errungenes Direktmandat sicher zu erhalten, muss dieses künftig durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sein. Simples Beispiel: Holt eine Partei in einem Bundesland 50 Direktmandate in den Wahlkreisen, nach dem Zweitstimmenergebnis stehen ihr aber nur 48 Mandate zu, dann gehen die beiden Direktkandidaten mit den schlechtesten Erststimmergebnissen leer aus.
Und warum trifft das die CDU?
Weil die CDU eben im Gegensatz zu allen anderen Parteien für gewöhnlich die meisten Direktmandate im Land gewinnt, die Union ist traditionell in der Fläche verwurzelt. Bei der Bundestagswahl 2021 gingen von den 38 Wahlkreisen im Südwesten 33 Direktmandate an die CDU, 4 an die Grünen und 1 Direktmandat an die SPD. Die CDU dürfte zwar Umfragen zufolge stärkste Kraft werden am 23. Februar. Allerdings ist es gut möglich, dass ihr Zweitstimmenergebnis nicht so gut ist, dass alle Direktkandidaten auch einziehen dürfen. Die Rede ist von drei bis fünf Mandaten, die auf der Kippe stehen.
Welche Regionen sind davon betroffen?
"Es geht um die Wahlkreise, die eher knapp gewonnen werden. Die werden durch das undemokratische Ampel-Wahlrecht wieder gekappt", kritisiert CDU-Landesgeneralsekretärin Nina Warken. Also die Wahlkreise, in denen die CDU traditionell eher schwach ist - in großen Städten wie Stuttgart, Mannheim oder Freiburg. Selbst wenn die CDU-Kandidaten vor Ort den Sieg holen gegen die politische Konkurrenz, fahren sie im Verhältnis zu ihren Unionskollegen in konservativ-ländlichen Regionen ein eher schlechtes Ergebnis ein - und fallen daher womöglich durchs Raster. "Wenn der Gewinner nicht in den Bundestag einzieht, ist das schwer vereinbar mit demokratischen Grundsätzen", findet Warken. Die Kappung gehe am Wählerwillen vorbei.
Das neue Wahlrecht kann sogar dazu führen, dass einzelne Wahlkreise gar keinen Vertreter mehr in Berlin haben. Wie kann das sein?
Das kann theoretisch passieren, wenn der Wahlkreissieger nicht einziehen darf und die anderen Kandidaten, die in dem Wahlkreis angetreten sind, auch nicht hineinkommen, weil sie so einen schlechten Listenplatz haben. So könnte das etwa in Tübingen sein. "Die Gefahr besteht, dass der Wahlkreis verwaist", meint Christoph Naser, der in Tübingen als CDU-Direktkandidat für sich wirbt. Das wäre das "worst-case-szenario".
Ihn motiviere das Wahlrechtsproblem aber gleichzeitig im Wahlkampf, sagt Naser. "Es geht um sehr viel. Es ist wichtig, dass unsere Region nicht ohne Abgeordneten dasteht." Wer solle sich sonst in Berlin für die Tübinger Regional-Stadtbahn einsetzen oder die Hochschullandschaft? Auf seiner Homepage wirbt Naser deshalb mit dem Slogan: "Unsere Vertretung in Berlin ist nicht sicher."
Was hat das alles grundsätzlich für politische Folgen?
Die CDU läuft Gefahr, in den Großstädten weniger repräsentiert zu sein, sagt Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung. Und Großstädte wie Tübingen könnten insgesamt weniger vertreten sein. "Es stellt sich demokratietheoretisch die Frage, ob das gerecht ist, wenn Tausende Wähler nicht mehr abgebildet sind." Er nennt Städte wie Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart, aber auch den Wahlkreis Lörrach-Mühlheim. Zudem sieht er die Möglichkeit, dass urbanere, moderne Strömungen nicht mehr so in der CDU abgebildet werden, sondern eher ländliche, konservative Positionen. "Auch für innerparteiliche Prozesse geht ein Teil der Vielfalt verloren."
Wenn es solche Probleme gibt, warum hat man das Wahlrecht überhaupt geändert?
Das neue Wahlrecht schiebt, kurz gesagt, dem Wachstum des Bundestags einen Riegel vor. Die Ampel-Koalition begrenzte die Größe auf künftig 630 Abgeordnete, denn die Überhangs- und Ausgleichsmandate haben das Parlament in den vergangenen Jahren immer weiter aufgebläht. Bei der Bundestagswahl 2021 fielen allein 34 Überhang- und 104 Ausgleichsmandate an. Der Bundestag entwickelte sich auf diese Weise zum größten frei gewählten Parlament der Welt.
© dpa-infocom, dpa:250214-930-374798/1