Gaza-Krieg
Waffenruhe im Gaza-Krieg begonnen: Erste Geiseln frei
Am 471. Tag des Gaza-Krieges ist eine Waffenruhe in Kraft getreten. Die ersten drei israelischen Geiseln wurden gegen Palästinenser ausgetauscht. Frieden ist aber noch lange nicht in Sicht.
dpa
So, 19. Jan 2025, 22:09 Uhr
Politik Ausland
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.
Tel Aviv/Gaza (dpa) - Nach mehr als 15 Monaten Krieg mit Zehntausenden Toten ist eine Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas in Kraft getreten. Drei Geiseln im Gazastreifen wurden von der Hamas freigelassen und nach Israel zurückgebracht. Die Frauen waren die ersten der insgesamt 33 Verschleppten, die im Rahmen der zunächst sechswöchigen Waffenruhe freikommen sollen. Im Gegenzug leitete Israel die Entlassung 90 palästinensischer Frauen und Minderjähriger aus der Haft ein.
Insgesamt sollen in der ersten von drei Phasen einer unter Vermittlung von Katar, Ägypten und den USA ausgehandelten Vereinbarung 1.904 palästinensische Häftlinge im Austausch für die Geiseln freikommen. Ob ein dauerhaftes Ende der Kämpfe erreicht werden kann, hängt von Verhandlungen über besonders strittige Punkte ab, die in gut zwei Wochen beginnen sollen.
Die drei Frauen waren mehr als 15 Monaten in der Gewalt der Hamas
Bei den ersten freigelassenen Geiseln handelt es sich um die Zivilistinnen Romi Gonen (24), Emily Damari (28) und Doron Steinbrecher (31). Sie wurden von bewaffneten Hamas-Mitgliedern an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und dann der israelischen Armee übergeben. Die israelische Armee veröffentlichte Videoaufnahmen vom Empfang der drei Frauen. Darauf ist zu sehen, wie sie noch im Gazastreifen aus einem Rot-Kreuz-Fahrzeug steigen und von Soldatinnen begrüßt und teils umarmt werden.
Anschließend wurden die Freigelassenen nach Israel gefahren, wo ihre Mütter sie nach langen Monaten bangen Wartens in die Arme schließen konnten. Danach wurden die Frauen in ein Krankenhaus bei Tel Aviv geflogen, wo sie von einer Menschenmenge mit Applaus begrüßt wurden. Ein gut zwei Minuten langes von der Regierung veröffentlichtes Video zeigt das äußerst emotionale Wiedersehen der drei Frauen mit ihren Angehörigen dort: Es gab innige Umarmungen, es flossen Tränen, es war Schluchzen und Jubel zu hören.
Eine der jungen Frauen verlor zwei Finger
Örtliche Medien berichteten unter Berufung auf das Rote Kreuz, dass die drei Ex-Geiseln zumindest physisch insgesamt in guter Verfassung waren. Allerdings verlor Damari während der Entführung zwei Finger, wie mehrere israelische Medien übereinstimmend unter Berufung auf ihre Familie berichteten. Auf Bildern war auch die bandagierte Hand der Frau zu sehen.
Terroristen hatten die drei jungen Frauen während des Massakers in Israel am 7. Oktober 2023 verschleppt und seitdem im Gazastreifen festgehalten. Romi Gonen wurde vom Nova-Musikfestival nahe der Grenze zum Gazastreifen entführt und dabei verletzt. Der Vater der 24-Jährigen sagte der Nachrichtenseite ynet vor der Freilassung, die Familie habe mehr als 11.000 Stunden auf diesen Moment gewartet. Die beiden anderen Frauen wurden aus ihren Häusern im Kibbuz Kfar Aza als Geiseln entführt. Steinbrecher besitzt zusätzlich die rumänische Staatsangehörigkeit, Damari auch die britische.
Die nächste Freilassung von Geiseln soll dem Vernehmen nach am Samstag stattfinden. Dabei sollen einem Hamas-Vertreter zufolge vier Entführte freikommen.
Biden begrüßt Beginn der Geiselfreilassungen
Der scheidende US-Präsident Joe Biden würdigte die Freilassung der Geiseln und die Waffenruhe als wichtigen Schritt. Um die Waffenruhe aufrechtzuerhalten, seien jedoch "Beharrlichkeit, anhaltende Unterstützung für unsere Freunde in der Region und der Glauben an Diplomatie, gestützt durch Abschreckung" notwendig, fügte er hinzu.
Hilfslieferungen für notleidende Gaza-Bewohner
Mit dem Inkrafttreten der Waffenruhe im Gazastreifen liefen dort nach Angaben örtlicher Sicherheitskräfte auch verstärkte Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung an. Arabischen Medienberichten zufolge waren knapp 200 Lastwagen auf dem Weg in das Palästinensergebiet. Auf Fernsehbildern waren bereits leere Lastwagen zu sehen, die nach Ägypten zurückkehrten, nachdem sie ihre Ladung im Transitbereich abgeladen hatten.
Die humanitäre Lage war in Gaza schon vor Kriegsbeginn im Oktober 2023 schlecht und hat sich durch Israels massive Bombardierungen dramatisch verschärft. Mehr als 90 Prozent der gut zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens leiden nach UN-Angaben Hunger. Es fehlt demnach zudem an Trinkwasser, Notunterkünften und Arzneimitteln.
Im Rahmen der Waffenruhe muss sich die israelische Armee zudem aus den Bevölkerungszentren des Gazastreifens zurückziehen.
Weitere Tote im Gazastreifen wegen verzögertem Beginn
Der Beginn der Waffenruhe verzögerte sich zunächst, weil die Hamas die Namen der drei freizulassenden Geiseln nicht rechtzeitig an Israel übermittelt hatte. Die israelische Luftwaffe setzte daraufhin am Sonntagmorgen ihre Angriffe im Gazastreifen fort. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Zivilschutzes gab es dabei mehrere Tote.
Weitere Schritte geplant
In den nächsten Wochen wollen Hamas und Israel über weitere Schritte verhandeln. Ziel ist der vollständige Rückzug des israelischen Militärs aus Gaza und die Freilassung der letzten Geiseln. Darunter sind auch Israelis, die zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Wird keine Einigung erzielt, könnten die Kämpfe weitergehen, hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Vorabend der Waffenruhe gedroht.
Der Gaza-Krieg war nach dem Überfall der Hamas und anderer terroristischer Gruppen auf Israel im Oktober 2023 mit rund 1200 Toten ausgebrochen. Große Teile des von den Palästinensern bewohnten Gazastreifens liegen in Schutt und Asche. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde kamen mehr als 46.900 Menschen ums Leben. Wie viele davon Zivilisten und wie viele Kämpfer sind, sagt sie nicht.
Israel soll Hamas-Kämpfer und auch Mörder freilassen
Bei den freizulassenden Palästinensern handelt es sich nach Regierungsangaben um 1.167 Bewohner des Gazastreifens, die nicht an dem Massaker vom 7. Oktober 2023 in Israel beteiligt waren. Die anderen 737 sind Häftlinge, die wegen leichterer Delikte wie Steinwürfe im Westjordanland oder illegalem Grenzübertritt sowie auch illegalem Waffenbesitz oder anderer Gesetzesverstöße verurteilt wurden. Darunter sind aber auch Häftlinge, die wegen schwerer Straftaten wie etwa Mord einsitzen.
Schwierigste Fragen sind noch ungelöst
Bei den kommenden Verhandlungen geht es um die größten Streitpunkte, die bisher ausgeklammert wurden. Die Hamas fordert den vollständigen Abzug der israelischen Armee aus dem Küstenstreifen und eine Garantie, dass die Kämpfe dauerhaft beendet sind. Israels Regierungschef Netanjahu hingegen besteht auf der Zerschlagung der Hamas. Weiterer Stolperstein könnte die Frage sein, welche palästinensischen Häftlinge Israel während einer zweiten Phase im Austausch für die restlichen Geiseln freilassen soll. Insgesamt 34 der 94 noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sind vermutlich bereits tot.
Israels Polizeiminister tritt wegen Geisel-Deal zurück
Aus Protest gegen die Waffenruhe-Vereinbarung erklärte Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir seinen Rücktritt. Damit verlässt auch seine Partei Otzma Jehudit die Koalition. Netanjahus rechtsreligiöse Regierung verfügt damit noch über eine knappe Mehrheit von 62 der 120 Sitze in der Knesset.
Wer soll im Gazastreifen künftig das Sagen haben?
Völlig unklar ist auch, wer im Gazastreifen nach einem Ende der Kämpfe regieren soll. Die gemäßigte Autonomiebehörde von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Westjordanland will wieder die alleinige Kontrolle über den Küstenstreifen übernehmen. Netanjahu lehnt das jedoch ab.
© dpa-infocom, dpa:250119-930-348563/13