Angriffe häufen sich
Vor Venezuelas Küste überfallen Piraten Luxusliner, Fischer und Touristen
Schwer bewaffnete Männer verbreiten in der Karibik wieder Angst und Schrecken. Touristen trauen sich nicht mehr alleine an den Strand. Und die Behörden sind überfordert.
Di, 5. Jun 2018, 20:00 Uhr
Panorama
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Inmitten eines Palmenhains, zwischen einer unter Naturschutz stehenden Lagune und der türkisblauen Karibik, liegt die Ferienanlage Tortuga Lodge. Sie war einst ein beliebtes Ziel für Wochenendausflügler, die dem Stress der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfliehen wollten. Doch dann kamen die Piraten. Eines Nachts legten sie mit Schnellbooten an, bestimmt ein halbes Dutzend Männer, vermummt und schwer bewaffnet, erzählt ein Wachmann. "Sie raubten alle Gäste aus und verschwanden so urplötzlich, wie sie gekommen waren."
Der Vorfall sprach sich herum, die Touristen blieben fern. Auch im benachbarten Fischer- und Ferienort Rio Chico gammeln seither Ferienhäuser vor sich hin. Die wenigen, die noch benutzt werden, sind durch Überwachungskameras, Mauern und Stacheldraht geschützt.
Einst waren Korsaren und Piraten die gefürchteten Herren der Karibik, stets auf der Jagd nach spanischen Galonen, die Gold und Silber aus den Kolonien ins spanische Mutterland brachten. Nun erleben sie eine moderne Renaissance, befeuert von Wirtschaftskrise, korrupten Sicherheitskräften und gescheiterten Staaten. Besonders viele Angriffe verzeichnen die Behörden vor der 2700 Kilometer langen Küste Venezuelas und Guyanas. In der Karibik haben nach Angaben der Organisation One Earth Future die Zwischenfälle im vergangenen Jahr um 160 Prozent zugenommen. 2017 wurden dort 71 Angriffe verzeichnet, alleine in Guyana starben in diesem Jahr bereits fünf Menschen bei Piratenangriffen auf See.
Experten beobachten vor Guyana und Suriname schon seit längerem kriminelle Piratenbanden. Diese haben angesichts der Krise in Venezuela dort nun offenbar Nachahmer gefunden. "Es gibt zwei Arten von modernen Piraten in Venezuela. Die professionell operierenden Kommandos und die gewalttätigen Kleinkriminellen", sagt der Kapitän der Handelsmarine José Bellaben der Zeitung ABC.
Der erste in den Medien kolportierte Piratenangriff in Venezuela fand 2014 statt, als an Weihnachten schwer bewaffnete und vermummte Angreifer auf Schnellbooten 300 Touristen ausraubten. Wegen des drohenden Staatsbankrotts, Fahnenflucht und Ersatzteilmangel ist die venezolanische Küstenwache vielerorts nicht mehr operationsfähig. Punktuelle Razzien der Nationalgarde sind ineffizient, die Bevölkerung wirft den Sicherheitskräften Komplizenschaft mit den Banden vor. Entlang der Küste organisieren sich viele Fischerorte deshalb bereits selbst und haben bewaffnete Selbstverteidigungskommandos eingerichtet.
Hauptangriffsziel der Seeräuber sind Yachten und Segelboote, heißt es im Report Oceans beyond piracy. Auch Fischer, Frachter und normale Strandurlauber zählen zu den Opfern. Kaum einer betrachtet in Rio Chico noch den Sonnenuntergang. "Alleine am Strand spazieren gehen ist unmöglich", sagt Touristin Marleny Pérez. Die wenigen noch verbliebenen fliegenden Händler machen sich lange vor der Dunkelheit auf den Heimweg. Besitzer von Segel- und Motorbooten starten nur noch im Konvoi zu Ausflugstouren. Die paradiesische Halbinsel Paria ist nach Angaben des oppositionellen Abgeordneten Omar González inzwischen völlig unter Kontrolle der Drogenmafia, die die dortigen Strände als Umschlagplätze nutzt.
In Punta de Araya ankerte einst die viertgrößte Thunfisch-Fangflotte der Welt. Durch die Wirtschaftskrise ist die Industrie eingebrochen. Nur noch ein Drittel der üblichen Menge wird verarbeitet. "Viele Arbeitslose haben sich zu kriminellen Banden zusammengetan, schmuggeln Drogen und Nahrungsmittel von der benachbarten Insel Trinidad, rauben Fischerboote aus, stehlen deren Motoren und Netze und ertränken oder erschießen die Besatzung", sagt Gewerkschaftsführer Jose Antonio Garcia. Täglich komme es zu Überfällen, dutzende Fischer seien bisher ums Leben gekommen.
In Tortuga Lodge sind die Bungalows vernagelt, der Putz blättert ab. Als der Wachmann neulich einen gestrandeten Wal fand, hatten ihn hungrige Fischerfamilien getötet, zerlegt und das Fleisch untereinander aufgeteilt, noch bevor die Naturschutzbehörde eintraf.
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