"Vor Hunger gingen wir hamstern"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Marluise Gandras über ihre Kindheit.  

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Diese Puppe hat Marluise Gandras’ Vater in der Kriegsgefangenschaft in England für seine Kinder gefertigt. Foto: Renate Gandras

Ich bin Zischup-Reporter Lino Ferdinand, Schüler der Klasse 8.2 am Evangelischen Montessori-Schulhaus in Freiburg. Für meinen Artikel für das Schülerprojekt der Badischen Zeitung habe ich mich am 10. März in Schönau mit meiner Großmutter Marluise Gandras zusammengesetzt und ihr Fragen über ihre Kindheit im Schwarzwald gestellt.

Zischup: In welchem Jahr bist du geboren?
Gandras: Ich wurde am 21. Juli 1943 geboren, also während des Zweiten Weltkrieges.

Zischup: Wo bist du geboren, und wurdest du wie die meisten Kinder heute in einem Krankenhaus geboren?
Gandras: Ich wurde in Schönau in einem kleinen Krankenhaus geboren.

Zischup: Gab es nach dem Krieg hier bei euch in Schönau Besatzer, wenn ja welche?
Gandras: Ja, der Schwarzwald war französische Besatzungszone.

Zischup: Gab es auch militärische Einrichtungen in der Nähe?
Gandras: In Fahl, in der Nähe von Todnau, waren französische Soldaten in einer Kaserne stationiert.
Zischup: Waren die Besatzer zu euch Kindern nett?
Gandras: Also, ich weiß aus einer Erzählung meiner großen Schwester, dass ein französischer Soldat durch das Dorf ging und mich als Baby auf den Arm genommen hat. Daraufhin hat meine Schwester tierische Angst bekommen, doch der Soldat wollte mir nur ein Vogelnest zeigen. Dann als ich schon etwas größer war, kam ein Lastwagen in das Dorf gefahren und es sprangen viele Soldaten runter. In der Situation dachte ich, der Krieg fängt wieder an. Es stellte sich heraus, dass es nur eine Übung war.

Zischup: Gab es damals für euch genug zu Essen?
Gandras: Nein, wir mussten oft hungern. Die Lebensmittelmarken gab es zwar, aber sie reichten bei Weitem nicht aus für meine Mutter und ihre vier Kinder. Mein ältester Bruder klagte: "Wenn nur mal genug Brot zum Sattessen da wäre. Einfach nur trockenes Brot!"

Zischup: Habt ihr euch mit der Situation abfinden müssen, oder konntet ihr etwas gegen euren Hunger unternehmen?

Gandras: Meine Mutter hat heimlich in ihrem Schlafzimmer Hühner und einen Hahn gehalten. Privat Tiere zu halten war eigentlich strengstens untersagt und wurde durch die Besatzer immer wieder spontan kontrolliert. Da blieb ihr nur zu beten, dass der Hahn nicht krähte. Manchmal wurden wir Kinder zum sogenannten "Hamstern" geschickt. Das hieß, dass wir von Bauernhof zu Bauernhof zogen, um nach Essbarem zu betteln. Manchmal ergatterten wir auf diese Weise zum Beispiel Kartoffelschalen oder Speckschwarten. Auch hatte meine Mutter gemeinsam mit ihrer Nachbarin eine Ziege versteckt. So hatten wir oft eine extra Ration Milch.

Zischup: Gab es denn überhaupt Spielzeug in deiner Kindheit beziehungsweise, mit was habt ihr gespielt?
Gandras: Es gab zwar wenig Spielzeug, aber ich hatte einen Puppenwagen und eine Puppe. Ansonsten waren wir immer draußen am Spielen.
Zischup: War dein Vater in Kriegsgefangenschaft?
Gandras: Ja, mein Vater war bis 1949 in englischer Kriegsgefangenschaft. Eines Nachts wurde ich geweckt. Da stand ein für mich fremder Mann vor der Tür. Ich wusste nur aus Erzählungen, dass ich einen Vater habe, kannte ihn aber nicht. Als der mir fremde Mann mir eine Art Hopsball, einen Flummi, schenkte, war das Eis sofort gebrochen. Ich hatte noch nie so etwas Faszinierendes gesehen. In der Kriegsgefangenschaft hat er eine Puppe für uns gebastelt.

Ich danke meiner Großmutter für das Interview und merke nach den Erzählungen, dass es ein großes Privileg ist in der heutigen Zeit geboren zu sein und nicht in der Nachkriegszeit.

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