Vom Kuchen zum König

Die Franzosen essen am Dreikönigsfest "Galette des rois". Wer den richtigen Biss hat, wird König oder Königin.  

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Wer mag das schon, beim Essen plötzlich auf etwas Hartes zu beißen? Auf ein Stück Nussschale etwa beim Nusskuchen, das aus Versehen beim Backen hineingefallen ist? Es gibt einen Tag im Jahr, an dem die Franzosen es sich sehnlichst wünschen, beim Kauen mit den Zähnen etwas Festes zu erwischen. Passiert ihnen das nämlich am 6. Januar bei der Nachspeise, dann sind sie König oder Königin, nicht für immer, aber immerhin den Rest des Tages.

Am Fest der Heiligen Drei Könige ist es nämlich in Frankreich Tradition, mit der Familie oder mit Freunden Kuchen zu essen. Der Kuchen heißt "Galette des rois", also Königskuchen. Er ist rund und flach, aus Blätterteig und Mandelcreme. Mit dem Kuchen hat es etwas Besonderes auf sich: Der Bäcker hat beim Backen mit Absicht eine "Fève" (das spricht man "Fäw") in den Teig gesteckt. "Fève" bedeutet eigentlich Bohne, aber heutzutage sind meistens Plastik- oder Porzellanfigürchen in dem Kuchen drin.

Nach einem gemütlichen, langen Mittag- oder Abendessen kommt der warme Dreikönigskuchen auf den Tisch. Da jeder natürlich die Fève bekommen will, muss man etwas gegen mögliche Mogeleien machen. Deswegen krabbelt das jüngste Kind unter den Tisch. Einer der Erwachsenen zerschneidet den Kuchen und fragt das Kind, wer das jeweilige Stück bekommen soll. Alle sind schon ganz zappelig. Und dann wird gegessen. Wer auf die Fève in seinem Stück Kuchen beißt, ist König oder Königin. Vorsicht, Zahnplomben in Gefahr! Was du als König alles machen darfst? Du darfst die goldene Pappkrone aufsetzen, die meistens der Kuchenpackung beigelegt ist. Du darfst dir eine Königin aussuchen (oder einen König) und sie (oder ihn) küssen. Du darfst für den Rest des Tages das Haus und den Garten zu deinem Königreich ausrufen. Hund oder Katze müssen dir zu Füßen liegen. Das war es dann auch schon!

Die Galette bekommt man nach Weihnachten fast in jeder Bäckerei im Elsass, auch im Supermarkt gibt's den Kuchen mit der Krone. Aber die billigen schmecken meistens recht staubig. In manchen Familien werden noch selber Königskuchen gebacken. Und da viele Franzosen gerne sammeln, sammeln sie auch die Fèves. In Straßburg gibt es eine Bäckerei hinter dem Münster, der größten Kirche in Straßburg, die seit Dezember das ganze Schaufenster voll gestellt hat mit Fèves aus Porzellan: Popeye-Fèves, Disney-Fèves, Tier-Fèves, Eiffelturm-Fèves - alle möglichen Figuren gibt es dort zu kaufen, um sie in den Kuchen zu stecken.

Die Wurzeln dieses Brauchs reichen bis zum Römischen Reich zurück. Denn schon die Römer ermittelten für ihre Feier zum Winterende den Festleiter durch eine Bohne im Kuchen. Die Griechen backen in das Neujahrsbrot eine Münze ein, die dem Finder Glück bringen soll. Im 13. Jahrhundert kamen die Menschen zum Dreikönigsfestmahl zusammen, bei dem immer ein König bestimmt wurde. Statt einer Bohne steckte manchmal eine Mandel oder eine Münze im Kuchen. Die Menschen feierten, weil der Dreikönigstag nicht nur das Ende der Weihnachtszeit war, sondern auch der Beginn der Karnevalszeit. Viel Wein getrunken wurde auch und man sang das Bohnenlied, eine Art Fasnetlied, das von Narren und Dummheiten handelt.

Früher wurden manchmal auch zwei Bohnen in den Dreikönigskuchen eingebacken, eine weiße für die Königin (die "reine") und eine schwarze für den König (den "roi"). Wer König wird und spielen will wie die Menschen vor Jahrhunderten, der kann seinen Hofstaat ausrufen. Du kannst bestimmen, wer Mundschenk ist, Sänger, Diener, Koch, Hofnarr oder Hofarzt. Damals war es so, dass alle rufen mussten "Der König trinkt!", wenn der König trank. Alle mussten bis Mitternacht ihre Rolle spielen. In den Niederlanden waren manche nach dem Königsspiel ganz schwarz im Gesicht. Das kam so: Vergaß einer seine Rolle oder machte einen Fehler, bekam er einen schwarzen Strich ins Gesicht gemalt!

Michael Neubauer

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