Viele unerkannte Risikopatienten
Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigsten Todesursachen in Deutschland. Gesundheitsminister Lauterbach will die Früherkennung stärken.
Jörg Ratzsch (dpa)
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Schon im Kindesalter soll künftig nach vererbten Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen "gefahndet" werden, wie der SPD-Politiker nach einem Gespräch mit Ärzte-, Apotheken- und Krankenkassenvertretern in Berlin sagte. Später sind regelmäßige Blut- und Blutdrucktests geplant, auch in der Apotheke.
Hohe Cholesterinwerte und ein dauerhaft zu hoher Blutdruck können neben Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel langfristig Herzinfarkte und Schlaganfälle begünstigen. Das Problem dabei: Es handelt sich oft um schleichende jahrzehntelange Entwicklungen, die viele Menschen gar nicht bemerken.
Das geplante Gesetz werde auch "langfristig größte Bedeutung haben" für die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem, sagte Lauterbach. Er verwies auf teure Herz- und Bypass-Operationen und auch auf ein erhöhtes Risiko für Demenz und Nierenerkrankungen im Alter durch dauerhaft zu hohen Blutdruck und hohe Cholesterinwerte.
Bereits bei der Vorsorgeuntersuchung U9 für Kinder im Alter von fünf Jahren soll künftig per Bluttest nach möglichen familiär bedingten Fettstoffwechselstörungen gesucht werden. Solche Störungen können zu erhöhten Cholesterinwerten führen, die wiederum für Ablagerungen an Gefäßwänden und Gefäßverengungen verantwortlich gemacht werden – mit entsprechend höherem Risiko für spätere Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Lauterbach geht davon aus, dass solche Tests bei der U9 jährlich bei etwa 15.000 Kindern familiäre Fettstoffwechselstörungen aufdecken könnten.
25-, 35- und 50-Jährige sollen aktiv von ihren Krankenkassen angeschrieben werden, um systematisch erhöhten Blutdruck, erhöhte Cholesterinwerte und unerkannten Diabetes zu finden. Lauterbach hatte vor kurzem bereits angekündigt, dass solche freiwilligen Tests auch in Apotheken möglich gemacht werden sollen. Viele junge Menschen hätten auch noch keinen Hausarzt. Die schon heute beim Arzt möglichen regelmäßigen "Gesundheits-Check-ups" mit Blutuntersuchungen werden seinen Angaben zufolge noch sehr wenig in Anspruch genommen.
Martin Schulz als Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) wies nach dem Gespräch mit Lauterbach darauf hin, dass es nicht nur um Früherkennung gehe, sondern im Falle einer Feststellung hoher Werte auch um eine langfristige, engmaschige Begleitung von Patienten. "Das müssen wir vermitteln, dass es eine lebenslange Therapie wird." Die meisten dieser Patienten müssten mit Medikamenten behandelt werden, sagte Lauterbach, da bei ausgeprägtem Bluthochdruck oder einer Fettstoffwechselstörung Bewegung und eine Ernährungsumstellung nicht ausreichten, um die Risiken abzusenken. Die Medikamente seien aber preiswert, erfolgreich und relativ nebenwirkungsarm.
Experten begrüßen die Pläne des Gesundheitsministers. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) und die Deutsche Herzstiftung hielten diese nicht nur für notwendig, sondern für längst überfällig, sagte der Berliner Kardiologe Benny Levenson nach dem Treffen mit Lauterbach. "Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen tun solange nicht weh, bis das Kind in den Brunnen fällt."
Es sei schön, dass in Deutschland viele Leute zu Geburtstagen und Weihnachten Blutdruckmessgeräte verschenkten, weil damit Menschen zum Arzt kämen, die vorher nichts von ihrem hohen Blutdruck gewusst hätten. "Das ist tatsächlich bisher unser Aufgreifsystem, das wir haben. Aber das hat eher was mit Steinzeit zu tun als mit 21. Jahrhundert im digitalen Zeitalter."
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