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Viele erleben Arbeit als Krankheit, die sie über sich ergehen lassen

JUZ-INTERVIEW mit dem Arbeitsforscher Frithjof Bergmann über die Veränderung der Arbeitswelt - und die Konsequenzen, die es daraus zu ziehen gilt.  

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Mit kühnen Thesen mischt sich der deutsch-amerikanische Philosoph und Arbeitsforscher Frithjof Bergmann in die Debatte um das Ende der Erwerbsgesellschaft. Für die JuZ sprach Andreas Becker mit ihm über das Konzept der "Neuen Arbeit" und über seine Vorstellungen von einer humanen und zukunftsfähigen Gesellschaft.

JuZ: Wie können Sie mir und den Lesern in einfachen Worten das Konzept der Neuen Arbeit erklären?
Bergmann: Das Jobsystem, das wir heute überall haben, dominiert seit rund zweihundert Jahren die Arbeitswelt - und wurde von Anfang an als sehr problematisch gesehen. Vorher wurde in der Landwirtschaft gearbeitet, bis dann die Industrialisierung begann und damit auch das von Grund auf andere Jobsystem eingeführt wurde.

Das Prinzip der Neuen Arbeit besteht aus zwei wesentlichen Punkten. Erstens: die Emanzipation der Arbeit. Viele Menschen erleben ihre Arbeit als eine Krankheit. Ihr Job nervt sie, sie empfinden ihn als lästig, lassen ihn aber trotzdem über sich ergehen. Nach dem Motto: Es ist ja schon Mittwoch. Nur noch zwei Tage, dann ist Wochenende. Neue Arbeit ist da anders. Sie ist eine Veränderung der Arbeit. Das heißt, arbeiten, was man wirklich, wirklich will. Zweiter Punkt: Die Technologie die heute entwickelt wird, sollte mehr selbst genutzt werden. Weg vom Industriellen. Teilweise machen wir das ja auch schon. Wir brennen unsere CDs selbst, wir drucken uns Bücher aus dem Internet. Aber das muss noch viel mehr werden.
JuZ: Können Sie dafür auch ein Beispiel aus Ihrer eigenen Arbeit nennen?
Bergmann: Bis vor wenigen Tagen war ich auf Tahiti. Dort wurde nun ein Computer hergerichtet, nicht sehr raffiniert aber okay, mit dem die Nutzer Vorlesungen an den Universitäten von Boston, Michigan und vielen anderen nicht einfach nur nachlesen, sondern auch mithören können. Sie bilden sich damit im Prinzip selbst.
JuZ: Warum ist eine solche Umstrukturierung der Arbeit Ihrer Meinung nach nötig?
Bergmann: In den Jahren meiner allgemeinen Arbeit hat sich viel geändert. Als 1989 der Kommunismus und der Sozialismus starben, ja nicht mal eine Leiche von ihnen übrig blieb, entstand derjenige Kapitalismus, der sich heute zum totalitären Kapitalismus entwickelt hat. Seit zehn Jahren fehlt ihm das Gegengewicht. So zum Beispiel Daimler-Benz mit der Standortdebatte. Die Steuern und Lohnkosten sollen fallen, Gewerkschaften sollen mehr Einsehen haben und vieles mehr. Schließlich drohen solche Unternehmen, die Produktion in die Billiglohnländer zu verlagern. Die Arbeitnehmer sind dagegen machtlos. Das Konzept der Neuen Arbeit versucht in dieser Dominanz des totalitären Kapitalismus ein Gegengewicht zu schaffen, um ein Gleichgewicht zu erreichen.
JuZ: Und wie und wo vermitteln Sie den Menschen dieses Konzept?

Bergmann: Mit dem Aufbau von New-Work-Zentren, in Dörfern und Stadtteilen, in Filialen oder Zweigstellen großer Firmen. Dort werden ihnen Informationen vermittelt, Möglichkeiten aufgezeigt, sie werden beraten und ihnen wird geholfen, herauszufinden, was sie wirklich selber wollen. Ihnen werden nützliche Dinge beigebracht und ihre verschiedenen Fähigkeiten werden miteinander verbunden. Das Prinzip der Selbstversorgung wird erklärt, zusammen eingekauft, gebaut und sonstiges. Sogar das brennen von Ziegeln wurde in einem der bestehenden Zentren erlernt. Bildhaft ist ein Zentrum wie ein Bahnhof, in dem jede Stunde ein Zug Richtung fröhlichere Zukunft abfährt. Daran müssen wir arbeiten.

JuZ: Welche Auswirkung hätte "Neue Arbeit" auf das momentane Schulsystem?
Bergmann: Heutzutage sind Schulen nichts anderes als eine Vorbereitung auf das althergebrachte Jobsystem. Sie betonen mehr die mechanische, geistlose Arbeit. Aber dazu braucht man die Menschen gar nicht mehr. Und trotzdem werden wir in den Schulen darauf vorbereitet, Langeweile und nicht gemochte Jobs ertragen zu können.

Vor allem sollte Wert darauf gelegt werden, die Jugendlichen auf Arbeiten vorzubereiten, die nicht von Computern und Robotern zu erledigen sind. Auch sollten Schulen fantasievoller gestaltet werden. Das selbstständige Denken ist ebenfalls ein wichtiger Teil des Lernstoffs. Das wird aber derzeit in den Schulen nicht gelehrt.

Ein Bahnhof in dem jede Stunde ein Zug in Richtung Zukunft abfährt

JuZ: Wie können interessierte Mitmenschen an Informationen über "Neue Arbeit" kommen und welche Ratschläge haben Sie für Neugierige?
Bergmann: Als größtes und wichtigstes Medium wäre hier einfach unsere Website zu nennen: http://www.newwork.de Der erste Rat wäre, sich erstmal zwei bis drei Tage mit der Homepage auseinanderzusetzen. Nummer zwei ist danach, mal an sich selbst zu arbeiten, sich Gedanken darüber zu machen, was man wirklich, wirklich will.

Und was auf jeden Fall dazugehört, wäre ein Besuch in einem der New-Work-Zentren, die es auch in Deutschland gibt. Unter anderem geht es bei meinem Besuch in Freiburg nämlich auch um die Entwicklung eines solchen Zentrums für diese Stadt.



Neue Arbeit und Neues Lernen in Diskussion und Vortrag mit Frithjof Bergmann: Montag 14. Mai und Dienstag, 15. Mai, jeweils um 19 Uhr in der Freien Waldorfschule, Schwimmbadstraße, in Freiburg.

Ressort: Zisch

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