UNTERM STRICH: Saisonaler Wahnsinn

Spargeleis und Kürbiscake beweisen, dass Jahreszeiten überbewertet sind / Von Katja Bauer.  

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Jetzt sind sie wieder da, die Berge von Kürbissen – kein Supermarkt, bei dessen Betreten man nicht durch orangefarbene Hokkaidobutternusslandschaften wandelt. Natürlich, nichts ist falsch an saisonalem Obst und Gemüse. Das gilt für den Geschmack, den Preis und den Ökofußabdruck.

Und schließlich tickt in uns auch diese seltsame innere Zeitbombe des Verlangens. In jedem Oktober signalisiert der Gaumen diese tiefe Sehnsucht nach dunklen Soßen, Wacholderbeeren im Rehgulasch, Zwiebelkuchen mit neuem Wein. Im Frühjahr ist es plötzlich furchtbar schwer, die ersten pestizidverseuchten Erdbeermutanten stehen zu lassen, man lechzt nach Rhabarberkuchen mit Rahmguss und Baiser, nach Maibowle, Erbsensprossen, jungen, frittierten Artischocken. Und manche essen auch gerne Bärlauch, aber da fängt der Wahnsinn im Prinzip schon an. Er findet seinen Höhepunkt bei Spargel und Kürbis.

Diese zwei Gemüse haben drei Dinge gemeinsam: Sie scheinen die Deutschen in eine Art Rausch zu versetzen; sie sind, wenn man sie nur einfach gart, von recht dürftigem Eigengeschmack; und mit keiner anderen Zutat wird man als Kunde im Lebensmittelhandel oder als Gast im Restaurant so zuverlässig behelligt wie mit diesen beiden. Wer sich als Wirt traut, keine Spargelkarte auszulegen, der kann im Prinzip von Mai bis Ende Juni direkt zusperren, und die Freudlosigkeit der Kürbissuppe wirkt auf eine kritische Masse offenbar appetitanregend.

Aber es geht schlimmer. Der Zwang zum saisonalen Gemüse kann gefährlich ausarten, nämlich in Form von Einfallsreichtum. Und zu diesem wird man inzwischen sogar vom Rezeptheft des Discounters gezwungen. Im Frühling gab es auf einer Party eine undurchsichtige, kühle Masse. Sie schmeckte, wie Umkleidekabinen riechen, aber in süß. Mein erstes Spargeleis. Letzte Woche sah ich Kürbiswaffeln. Diese Woche hat jemand Kürbischeesecake mit Frosting erfunden. Was wird nächste Woche passieren?
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