Um 4.17 Uhr begann die Katastrophe
Bei der Erdbebenserie, die am Montagmorgen die Osttürkei und das angrenzende Nordsyrien erschütterte, sind vermutlich Tausende Menschen ums Leben gekommen. Auch in der Millionen-Metropole Istanbul wächst die Sorge.
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Im Morgengrauen begann das Ausmaß der Katastrophe sichtbar zu werden. In der Türkei, wo zehn Provinzen betroffen sind, stürzten mehr als 2800 Gebäude ein, darunter ein Krankenhaus in der Mittelmeer-Hafenstadt Iskenderun. Auch im benachbarten Syrien richteten die Beben schwerste Schäden an. Von dem Erdbeben waren in der Türkei zehn dichtbesiedelte Städte betroffen. Nur 30 Kilometer vom Epizentrum des Bebens liegt die Stadt Gaziantep mit 2,1 Millionen Einwohnern. Allein hier stürzten 560 Gebäude ein. Die Zahl der Todesopfer geht in die Tausende.
Auf das Beben von 4.17 Uhr folgten zehn Minuten später vier weitere heftige Erdstöße. Sie ließen zahlreiche Gebäude einstürzen, die bereits bei dem ersten Beben Schäden in ihrer Struktur erlitten hatten. In den folgenden Stunden ereigneten sich Dutzende mittelschwere Nachbeben. Am Montagmittag um 13.24 Uhr ereignete sich bei Kahramanmaras ein weiteres schweres Beben der Stärke 7,5. Die Epizentren der Bebenserie liegen entlang einer Bruchzone, die von der Provinz Hatay an der Mittelmeerküste in nordöstlicher Richtung über die Städte Adana und Gaziantep bis nach Malatya verläuft.
Die türkische Katastrophenschutzbehörde AFAD entsandte 1898 Helfer mit 150 Fahrzeugen in das betroffene Gebiet. Sie begannen mit dem Aufbau von Zeltstädten für Zehntausende Obdachlose. In weiten Teilen der Katastrophenregion ist die Strom- und Wasserversorgung ausgefallen. In sechs Provinzen brach das Mobilfunknetz zusammen. Das erschwerte die Suche nach Verschütteten.
Am Montag Mittag startete eine Hercules-Transportmaschine der griechischen Luftstreitkräfte vom Militärflughafen Eleusis und nahm Kurs auf das Katastrophengebiet. An Bord waren 20 Helfer der Rettungseinheit EMAK, mehrere Ärzte, ein Spezialfahrzeug für den Einsatz in unwegsamem Gelände und weiteres technisches Gerät. Wie die Türkei wird Griechenland häufig von Erdbeben heimgesucht. Das Land verfügt daher über große Erfahrung beim Katastrophenmanagement und gut ausgebildete Rettungsmannschaften. Schon 1999, als Izmit und Athen im Abstand von wenigen Tagen von Beben erschüttert wurden, hatten sich die beiden zerstrittenen Nachbarn geholfen. Das leitete damals eine Phase der Annäherung ein, die als Erdbebendiplomatie in die Geschichte einging.
In Malatya stürzte ein 14 Stockwerke hohes Wohnhaus in sich zusammen. Wieder zeigte sich, wie schon bei früheren Erdbebenkatastrophen, die oftmals schlechte Qualität der Bauten in der Türkei. Selbst moderne Gebäude, die einem Beben dieser Stärke standhalten müssten, wenn die Bauvorschriften beachtet würden, fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen und begruben ihre Bewohner. Die Gründe sind fehlerhafte statische Berechnungen und Pfusch, wenn Baufirmen etwa bei den Stahlarmierungen sparen oder minderwertigen Beton verwenden.
Auch die Menschen im Westen der Türkei leben in ständiger Sorge vor Erdbeben. Der 16-Millionen-Metropole Istanbul droht nach Überzeugung der meisten Experten in den nächsten Jahren ein schweres Beben der Stärke 7,1 bis 7,7. Es könnte verheerende Folgen haben. Nach einer Studie der Stiftung für urbane Transformation (Kentsev) sind bei einem schweren Beben in Istanbul 13.000 Gebäude einsturzgefährdet. Schätzungen zufolge könnte eine solche Katastrophe in der Bosporusmetropole 40.000 bis 100.000 Todesopfer fordern.
Indes zeigten Bilder aus Nordwestsyrien, wie Menschen schreiend von Gebäuden wegliefen, die im Hintergrund wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen. Die Regionen um Idlib und Aleppo sind schwer betroffen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von Hunderten Toten; es dürften weitere hinzukommen. Idlib ist eine Provinz, die von den syrischen Rebellen kontrolliert wird und die besonders schwer betroffen vom syrischen Bürgerkrieg war und immer wieder von der syrischen und russischen Luftwaffe bombardiert wurde. Dort leben fast drei Millionen syrische Binnenflüchtlinge, gerade im Winter unter ohnehin schon katastrophalen Verhältnissen.
Ein namenloser Augenzeuge der Weißen Helme, einer Gruppe, die in den syrischen Rebellengebieten für den Zivilschutz verantwortlich ist, berichtet aus dem Ort Salqin in der Provinz Idlib. "Die Lage ist tragisch. Dutzende von Gebäuden sind eingestürzt. Der Strom ist ausgefallen. Es ist eine Katastrophe. Die Menschen sind in der Kälte auf der Straße. Viele Gebäude sind kurz davor einzustürzen. Wir brauchen Hilfe."
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