Geschichte der Bundestagswahl (1)
Überblick: Worum geht es bei der Bundestagswahl?
Die Erfolgsgeschichte dieser Republik – und von einer solchen wird man ungeachtet diverser Missstände sprechen dürfen – ist auch eine Geschichte des politischen Ringens.
Sa, 22. Jul 2017, 7:22 Uhr
Deutschland
Thema: Geschichte der Bundestagswahlen
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Eine ganze Menge. Die Erfolgsgeschichte dieser Republik – und von einer solchen wird man ungeachtet diverser Missstände sprechen dürfen – ist auch eine Geschichte des politischen Ringens. Der Wettstreit um Gesellschaftsentwürfe und Wirtschaftskonzepte, der leidenschaftliche Einsatz für unterschiedliche Menschen- und Weltbilder, all das hat das geteilte, später auch das wiedervereinigte Deutschland geprägt. Kristallisationspunkte hierfür waren seit Gründung der Bundesrepublik die nationalen Parlamentswahlen.
Dabei spielt es keine Rolle, dass deren Bedeutung von Anfang an schwankte. Dass nicht jede Wahl in krassen Richtungswechseln mündete. Nach der Katastrophe der Hitler-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, überhaupt wieder Tritt zu fassen. Demokratie zu lernen, eine Art des Wirtschaftens zu etablieren, die den Wiederaufbau begünstigen und die Gesellschaft befrieden sollte.
Der Christdemokrat Konrad Adenauer setzte die Westbindung durch, Sozialdemokrat Willy Brandt die Aussöhnung mit dem Osten. Helmut Kohls konservative Wende wurde erst nachträglich von den Wahlbürgern bestätigt, dafür gereichte ihm acht Jahre später die deutsche Einheit zum Triumph. So wie weitere acht Jahre später Kohls Ära ihr jähes Ende fand – gestoppt an der Wahlurne von SPD-Mann Gerhard Schröder, der versprochen hatte, "nicht alles anderes, aber vieles besser zu machen" und dem dabei Joschka Fischers Grüne halfen.
Einige der Weichenstellungen in der Wahl-Geschichte der Bundesrepublik, die wichtigsten Kontroversen und Entwicklungen, wollen wir in den nächsten drei Wochen nachzeichnen. Aber nicht trocken wie im Geschichtsbuch oder mit belehrendem Zeigefinger, sondern – wo immer möglich – aus der Perspektive unmittelbarer Zeitzeugen, direkter Akteure.
Zugegeben, ganz zu Anfang musste es die Expertise des Historikers sein. Aber schon an die Wahl 1953 erinnert sich kein Geringerer als Erhard Eppler, jener große alte Mann der sozialdemokratischen Linken, der mit Helmut Schmidt manchen Strauß ausfocht und dessen Politikverständnis vieles der späteren Grünen-Bewegung vorwegnahm.
Klaus Vater, ein alter Hase des Politikbetriebs, blickt auf die Wahlauseinandersetzung 1961 zurück, als der greise Adenauer den Mauerbau von Berlin zur üblen Wahlhilfe der Sowjetunion für Brandt stempelte. Die eigentliche Willy-Wahl 1972 spiegelt der langjährige Freiburger Abgeordnete Gernot Erler wider, damals 28 und gerade mal Juso, inzwischen 73 und vor seinem Abschied stehender Altmeister der Außenpolitik.
"Ich habe da eine Lücke". Derart verblüffend eröffnet Wolfgang Schäuble das Gespräch über den Wahlkampf 1990. Der damalige Bundesinnenminister, Christdemokrat und Ur-Badener war am 12. Oktober des Jahres auf einer Wahlveranstaltung in Oppenau niedergeschossen worden und sitzt seitdem im Rollstuhl. Die eigentliche Wahl Anfang Dezember, die erste gesamtdeutsche Wahl nach der Wiedervereinigung, erlebt Schäuble, einer der Architekten dieser Vereinigung, in der Klinik. Abends nippt er beim Toast auf den Sieg den ersten Tropfen Alkohol seit dem Attentat.
Was solche Details in einer Betrachtung einer Wahl zu tun haben? Sie verleihen den Menschen, die um Mehrheiten für ihre jeweilige Politik kämpfen, erkennbar Kontur. Sie zeigen, wie untrennbar das Gelingen von Demokratie mit Leben und Einsatz der großen, bekannten wie auch der unbekannteren Politiker und Helfer im Hintergrund verbunden ist.
Kein politischer Inhalt, keine Gestaltung von Zukunft ohne aktives Zutun vieler – unter unterschiedlichsten Bedingungen. Wer liest, wie Gregor Gysi 1994 eine bis dahin bedeutungslose Klausel im Wahlgesetz nutzte, um das parlamentarische Überleben der PDS zu sichern, jener Nachfolge-Organisation der SED, die zur Vorläuferin der Linkspartei wurde, kann nur den Hut ziehen vor so viel strategischem und taktischem Verstand.
Dass die heutige baden-württembergische Grünen-Spitzenkandidatin Kerstin Andreae vier Jahre später den Wahlkampf eines Parteifreundes organisierte, der inzwischen bei der Linken ist, hat der wirtschaftsfreundlichen Reala nicht geschadet. Armin Schuster, seinerzeit Leiter der Bundespolizei in Weil am Rhein, startete seine Politiker-Karriere eher zufällig. Hätte er gedacht, beim Thema Innere Sicherheit heute öfter als Gegenspieler von Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel wahrgenommen zu werden?
Wahlen, Wahlkämpfe waren nie überflüssig und sind es auch heute nicht. Selbst wenn hart gekämpft und mit Nebelkerzen hantiert wird, sie eröffnen für uns Bürger die Chance, sich mit dem auseinanderzusetzen, was jeden angeht: die Politik dieses Landes.
Gewählt wird dieses Jahr am 24. September. Zwei Wochen vorher geht es auf dem Gelände der Badischen Zeitung zur Sache. Die Spitzenkandidaten der sechs größten Parteien in Baden-Württemberg lassen sich von BZ-Redakteuren auf den Zahn fühlen. Wie soll die Zukunft der Bundesrepublik aussehen? Welches Bildungssystem braucht das Land, welche Infrastruktur, welche Alterssicherung – und wer soll dafür bezahlen? Das sind nur einige Themen, über die Wolfgang Schäuble (CDU), Leni Breymaier (SPD), Cem Özdemir (Grüne), Michael Theurer (FDP), Klaus Riexinger (Linke) und Alice Weidel (AfD) intensiv befragt werden sollen. Das Programm beginnt um 11 Uhr und erstreckt sich im Stundentakt über den ganzen Tag. Daneben können sich Besucher aber auch über die Arbeit der Badischen Zeitung informieren. Redakteure stellen sich den kritischen Fragen ihrer Leser. Es gibt Auftritte von Poetry Slammern, Informationsangebote der Landeszentrale für politische Bildung sowie von Parteien. Für Essen und Trinken sowie einen musikalischen Abschluss ist ebenfalls gesorgt. Konzentrierter, spannender und unterhaltsamer können sich Bürgerinnen und Bürger kaum über die Wahl informieren – und über ihre Zeitung vor Ort.