Tödliches Hobby
Drachensteigen boomt in Ägypten seit der Corona-Pandemie / Regierung will Unfällen vorbeugen.
Johannes Schmitt-Tegge und Amr Mostafa (dpa)
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Mit dem unschuldig wirkenden Freizeitspaß könnte bald Schluss sein. Nach wiederholten Berichten über teils tödliche Unfälle will die Regierung gegen das Hobby vorgehen, das während der Corona-Pandemie noch an Zulauf gewonnen hat. Sicherheitskräfte beschlagnahmten der staatlichen Nachrichtenseite Al-Ahram zufolge in vergangenen Tagen hunderte Drachen – wegen der "Gefahr für das Leben von Kindern und Jugendlichen", wie es beim Innenministerium heißt. Hersteller und diejenigen, die Drachen steigen lassen, sind im Visier der Behörden.
Tatsächlich kann Drachensteigen zum gefährlichen Spiel werden. In der Küstenstadt Alexandria stürzte dabei Anfang Juli ein zwölf Jahre altes Mädchen vom 17. Stockwerk eines Hochhauses in den Tod. In der Provinz Minufia nordwestlich von Kairo starb Anfang Juni ein Schüler beim Drachensteigen durch einen Stromschlag. Die Brüder Ijad (10) und Ibrahim (15) Samir leben im Kairoer Stadtteil Al-Mataria. Einer ihrer Freunde ist ebenfalls beim Drachensteigen tödlich verunglückt. Viele Kinder und Jugendliche dürften erst durch die Corona-Pandemie zu richtigen Drachen-Fans geworden sein. Schulen, Sportklubs, Kinos und Cafés blieben geschlossen, dazu kam eine nächtliche Ausgangssperre über drei Monate zur Eindämmung des Virus. Im Kampf gegen Langeweile und Einsamkeit griffen viele zu den Drachen, die in allen Farben, Größen und Formen entlang städtischer Silhouetten oder an den Küsten des Landes zu sehen waren. Einige Schreiner entdeckten in den Fluggeräten eine neue Einnahmequelle.
"Das Coronavirus war ein Hauptgrund für die Verbreitung", sagt ein Händler, der sich Diab nennt. "Viele hatten Freizeit, um Drachen steigen zu lassen." Erst habe er nur das benötigte Schilf, dann aber selbst gebaute Drachen für 20 bis 50 Pfund (etwa 1,10 bis 2,75 Euro) verkauft, sagt der 24-Jährige. Auf Anfrage habe er dann auch Drachen im Wert von 300 Pfund (etwa 16,50 Euro) angefertigt samt Verzierungen und Lichterketten. Einen anderen Job hat er nicht.
Für ein Verbot des Kindersports wurde vor allem Pakistan bekannt, wo 2016 in der größten Provinz Punjab mehrere Hunderttausend Drachen beschlagnahmt wurden. In der Großstadt Rawalpindi landeten damals 600 Menschen wegen ihrer Drachen hinter Gittern, vergangenes Jahr wurden laut Medienberichten erneut mehr als 150 Menschen festgenommen.
In Pakistan ist Drachensteigen allerdings Volkssport, vor allem in Punjab.
"Verkehrsregeln" gibt es auch in Deutschland, wo das Seil eines normalen Drachens ohne entsprechende Ausnahmegenehmigung nicht länger als 100 Meter sein darf. Zudem muss der Startplatz mindestens 600 Meter von Stromleitungen sowie Oberleitungen von Eisen- und Straßenbahnen entfernt sein. Die Drachenschnur darf auch nicht elektrisch leitend, also etwa metallverstärkt sein.
In Alexandria müssen Drachensportler künftig mit Geldstrafen rechnen. Bis zu 1000 Pfund (etwa 55 Euro) zahlen Erwachsene, wenn sie oder ihre Kinder die Fluggeräte steigen lassen. Keine geringe Summe in einem Land, in dem das tägliche Durchschnittseinkommen bei etwa 30 Euro liegt und ein Dittel der Bevölkerung in Armut lebt.
Die Samir-Brüder aus Kairo scheinen sich der Gefahr bewusst. "Als ich einen großen Zwei-Meter-Drachen vom Dach fliegen ließ, spürte ich, dass er mich in die Höhe zieht", sagt Ibrahim. "Also habe ich die Leine losgelassen und ihn verloren." Ihrem zwölf Jahre alten Freund, der tödlich vom Dach fiel, erwiesen einige Hinterbliebene eine letzte Ehre: Sie ließen Drachen mit Fotos von ihm in den Himmel steigen.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ