BZ-Interview
Thomas Müller: "Ich war nie nur der Spaßvogel"
Er sagt, was er denkt: Seriosität, Motivation, falsche und echte Neuner, Überschriften und die Terrorgefahr – über diese Themen und mehr sprach Thomas Müller in Évian mit einem kleinen Kreis von Journalisten. René Kübler zählte dazu.
Fr, 10. Jun 2016, 15:14 Uhr
Fußball-EM
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BZ: Es bräuchte mal ein Müller-Tor bei einer Europameisterschaft.
Müller: Bräuchte es nicht, aber es wäre vielleicht hilfreich. Deutschland ist aber auch schon ohne ein Müller-Tor Europameister geworden (lacht). 1996 hat meines Wissens kein Müller mitgespielt.
Müller: Grundsätzlich sind wir körperlich und geistig in einem guten Zustand. Jetzt geht es um die Situationen auf dem Platz: Schießen wir den Ball ins Tor oder schießen wir daneben? Gewinnen wir unsere Zweikämpfe in Eins-gegen-Eins-Duellen – oder nicht? Mannschaftstaktisch sind wir gut eingestellt. Wir wissen, was wir zu tun haben.
BZ: Sami Khedira meinte, der Modus der EM-Qualifikation habe vielleicht einen Tick dazu beigetragen, dass es nach dem Titelgewinn in Brasilien zu einem Spannungsabfall in der Mannschaft kam. Nun ist der Modus der Gruppenphase ähnlich, auch als Gruppendritter hat man gute Chancen, weiterzukommen. Eine Gefahr?
Müller: Wir gehen sicher nicht in die Gruppenphase, um viertbester Gruppendritter zu werden. Wir wollen jedes Spiel gewinnen. Das mit dem Weiterkommen als Dritter ist nur dann interessant, wenn man nach den ersten Spielen nicht die Ergebnisse geliefert hat, die man wollte. An unserer Marschroute oder Einstellung ändert das aber nichts. Wir wissen, was auf uns zukommt.
BZ: Ukraine, Polen und Nordirland – das klingt trotzdem eher nach Qualifikation als nach Endrunde.
Müller: Diese Mannschaften haben ihre Qualitäten. Natürlich ist es keine Gruppe wie bei der EM 2012 mit Portugal, Holland und Dänemark. Das brauche ich auch nicht jedes Mal, obwohl wir damals gut durchmarschiert sind. Wir sehen das jetzt aber nicht als Kindergartengruppe. Klasse, das ist die Überschrift.
Müller: Aus unserer Sicht macht es die Sache vielleicht nicht spannender, dass jetzt so viele Teams mitspielen. Aber aus Fansicht kann man sagen, das ist ein Spiel mehr Unterhaltung. Und aus Sicht der kleinen Nationen ist es toll, bei einer EM mitspielen zu dürfen. Es kommt wie immer im Leben auf den Blickwinkel an. Belastungsmäßig wird der ganze Fußballzirkus immer mehr, mehr, mehr. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.
BZ: Auch die deutsche Mannschaft hat sich seit der WM 2014 verändert. Wie empfinden Sie diese Veränderung?
Müller: Wir haben nach den Rücktritten der langjährigen Führungsspieler Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose eine Zeit gebraucht, um wieder eine gewisse Führung in die Mannschaft reinzubekommen.
BZ: Einer der Anführer sind jetzt Sie. Diese EM ist bereits Ihr viertes Turnier. Wenn Sie auf Ihr Debüt 2010 zurückblicken: Was hat sich für Sie verändert?
Müller: Damals war ich damit beschäftigt, meinen eigenen Tagesablauf hinzubekommen. Schon 2014 war es dann so, dass ich geschaut habe, dass auch die anderen ihren Tagesablauf gut hinbekommen.
BZ: Dann sind Sie jetzt mehr der Helfer.
Müller: Ich versuche schon, meine Erfahrung einzubringen und den anderen zu helfen, so gut es geht. Seine eigene Performance darf man dabei nicht aus den Augen verlieren. Trotzdem sehe ich jetzt mehr das große Ganze. 2010 musste ich zunächst schauen, dass ich meinen Stiefel gut runterspiele. Nach außen hin habe ich jetzt vielleicht mehr Gewicht. Intern habe ich aber auch schon in den vergangenen Jahren versucht, mich stark einzubringen.
BZ: Als Unterhaltungskünstler?
Müller: Es war nie so, dass ich nur der Spaßvogel war. Wenn es um Themen geht, die Seriosität erfordern, dann war die bei mir schon immer vorhanden. Auf dem Platz geht es darum, nicht immer nur verbohrt zu sein, sondern auch mal einen Spaß zu machen. Wenn es um die taktische Arbeit geht, musst du aber funktionieren.
BZ: Funktioniert die Mannschaft im Vergleich zu 2014 besser oder schlechter?
Müller: Wir haben jetzt einen noch breiteren, tieferen Kader bei annähernd gleichbleibender Qualität. Auch die Spieler auf der Bank sind individuell top. So gesehen sind wir meiner Meinung nach schon stärker geworden. Das heißt aber nicht, dass man deswegen auch Spiele gewinnt.
BZ: Gegen die Ukraine sollte das aber schon gelingen. Es soll nicht abwertend klingen, aber wissen Sie schon etwas über diesen Gegner?
Müller: Klingt aber abwertend. Wir wissen ein bisschen was, ein paar Spieler kenne ich ja noch aus den Spielen gegen Donezk, den Torwart zum Beispiel oder den linken Außenverteidiger. Dann haben sie zwei Außenstürmer, die im Dribbling ihre Qualitäten haben. Bis zum Spiel werden wir auch die Details kennen.
BZ: Geht es bei der Nationalmannschaft so detailliert zu wie beim FC Bayern unter Trainer Pep Guardiola?
Müller: Es ist nicht ganz so detailversessen, aber fußballtaktisch geht es schon in die gleiche Richtung.
Müller: Auch im letzten Standardtraining haben wir diese Wettkampfform angewandt. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an, überlegen sich verschiedene Varianten. Dann geht es um Offensiv- und Defensivstandards. Vom Mentalen her ist das ganz gut. Wenn man nur sagt: Jetzt schlagen wir mal ein paar Ecken rein, dann ist es schwierig, die Spannung hochzuhalten. Wir haben in diesem Bereich ganz gut gearbeitet. Das war wichtig. Wir haben ja selbst festgestellt, dass wir in den vergangenen zwei Jahren durch Standards ein paar Gegentore zu viel bekommen haben.
BZ: 2014 gab es einen speziellen Müller-Trick. Sie sind beim Anlauf absichtlich gestolpert, um den Gegner vom eigentlichen Freistoßschützen abzulenken und sich dann unerkannt in den Strafraum
schleichen zu können. Gibt es wieder so etwas?
Müller (lacht): Das werden wir sehen. Wir dürfen es den Gegnern nicht so leicht machen.
BZ: Beim Billard, heißt es, machen Sie es Ihren Gegnern auch nicht leicht.
Müller: Wer hat denn das ausgeplaudert? Bei allem, was mit Ball und Spiel zu tun hat, war ich schon immer engagiert, motiviert und talentiert. Und wenn mir etwas Spaß macht, bin ich auch ehrgeizig. Ich habe aber trotzdem noch Übungsbedarf.
BZ: Was bietet sich im Teamhotel sonst noch als Freizeitbeschäftigung an?
Müller: Da steht noch ein Basketballkorb rum, aber der kann nur bei gutem Wetter benutzt werden.Wir können auch Kartenspielen und ein bisschen Kuscheln. Und Golfspielen ist für die freien Tage vorgesehen. Hauptsächlich sind wir aber zum Fußballspielen da – nur dass das nochmal gesagt ist. Es ist nicht so wichtig, dass wir uns pudelwohl fühlen und jeder Tag bis zum Anschlag mit Spaß gefüllt ist.
BZ: Dann zurück zum Fußball. Es läuft ja die Diskussion: falsche Neun, echte Neun? Götze oder Gomez? Wie denken Sie darüber?
Müller (grinst): Ja, läuft sie?
BZ: Ja, sie läuft.
Müller: Das geht ja seit vier Jahren so und eigentlich weiß keiner, was eine falsche Neun ist.
BZ: Erklären Sie es uns.
Müller: Eine falsche Neun ist eigentlich nur Lionel Messi, der sich ein bisschen zurückfallen lässt, dann vier Gegenspieler umdribbelt und ein Tor vorbereitet.
BZ: Und eine echte Neun?
Müller: Das ist einer, der sich nicht zurückfallen lässt und trotzdem Tore schießt, oder?
BZ: Wenn Sie das sagen. Aber ist es nicht angenehm für eine Mannschaft, wenn ganz vorne ein Stürmer steht, der in der Lage ist, die Bälle zuverlässig zu verwerten?
Müller: Was heißt verwerten? Im Sinne von Flanken und Torabschluss?
Müller: Das hängt vom Gegner und den einzelnen Situationen ab. Für die ersten ein, zwei Turnierphasen ist es sicher gut, einen Spieler vorne drin zu haben, der auch mal kurz kommt, um Überzahl in der Mitte zu schaffen. Wenn man aber zehn Flanken in den Strafraum schlagen will, dann wäre sicher ein Spieler gut, der von den zehn Flanken acht verwertet. Letztlich ist es doch immer so: Wenn ein Stürmer spielt, der sich nur im Strafraum aufhält, wird geschimpft: Der beteiligt sich nicht am Spiel, hilft der Mannschaft eigentlich gar nicht weiter. Wenn man mit einem quirligeren Spieler vorne drin agiert, heißt es: Der ist für die Flanken nicht tauglich. Es wird selten das Positive, mehr das Negative gesucht, wenn es nicht funktioniert. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass es funktioniert.
BZ: Wie gehen Sie mit dem Thema Terrorgefahr um? Immerhin hatten Sie mit der deutschen Mannschaft in Paris dieses schreckliche Erlebnis im November.
Müller: Es ist kein gewöhnliches Turnier, was die Sicherheitslage betrifft. Ich habe kein Problem damit, wenn meine Familie zu Hause bleibt. Ich habe aber auch kein Problem damit, wenn sie ins Stadion kommt. Sie müssen ihre eigene Entscheidung treffen, meine Frau wird das spontan tun. Natürlich versucht man, vorsichtig zu sein. Aber es bringt auch nichts, Ängste zu schüren. Es gibt nicht die große Lösung. Ich bin der Meinung, dass man sich nicht zu sehr einsperren und sich die Freiheit nehmen lassen darf. Natürlich könnte man sich die Gedanken machen und zurückdenken. Aber ich bin eher ein Nachvornedenker und vertraue den Sicherheitskräften.
In der Nationalelf debütierte Thomas Müller am 3. März 2010 im Freundschaftsspiel gegen Argentinien (0:1). Sein erstes Tor erzielte der Oberbayer drei Monate später im WM-Gruppenspiel gegen Australien (4:0). Mit nun 26 Jahren steht der Mittelfeldspieler des FC Bayern bei 71 Länderspielen, von denen er 50 gewonnen hat. 32 Tore hat er bisher fürs Nationalteam erzielt, eines davon in seinem bisher einzigen Aufeinandertreffen mit der Ukraine: Am 11. November 2011 glich er in Minute 77 zum 3:3 aus.
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