Auszeichnung

Syrischer Flüchtling tanzt, rappt, macht Filme - und erhält den ZMF-Preis

Jan Mustafa rappt, er tanzt, dreht Filme. Er backt Pizza. Und in drei Wochen steht er auf einer Bühne mit Gerhard Polt. Der 22-jährige Nachwuchskünstler Mustafa bekommt dann nämlich den ZMF-Preis 2015 verliehen.  

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Jan Mustafa   | Foto: Ingo Schneider
Jan Mustafa Foto: Ingo Schneider

Für ihn natürlich eine große Sache. Was aber eine noch größere Sache ist: dass er überhaupt noch lebt und sich hier in Freiburg in Sicherheit befindet.

Mit 18 Jahren hat der kurdische Syrer seine Heimat verlassen – ohne Geld und ohne Schleuser, wie er sagt. Zweieinhalb Jahre dauerte seine lebensgefährliche Flucht, an die ihn noch heute jeden Tag seine vielen Narben erinnern. Jan – sprich Tschan – nennt sich der junge Flüchtling erst, seit er in seiner neuen Heimat lebt. Jan bedeutet Seele. Walid, so wie früher, will er nicht mehr heißen. Mit diesem Leben hat er abgeschlossen. Aber es verfolgt ihn immer noch auf Schritt und Tritt. Wenn er mit seinen Eltern oder seinen drei Brüdern und mit seiner Schwester telefoniert. Wenn er auf dem Smartphone ihre Videos sieht. Mittlerweile lebt die Familie Mustafa auf vier Länder verteilt. Die Schwester und der Vater in der Türkei, zwei Brüder und die Mutter in Syrien, der älteste Bruder in Zürich. Auch die Mutter war schon in der Türkei. Doch da musste sie wieder nach Syrien zurück, weil sie krank war und nur dort im Krankenhaus behandelt werden konnte.

Die Heimat der Familie war bis zum syrischen Bürgerkrieg das zu Aleppo gehörende Dorf Afrim. Die Mustafas hatten wenig Geld. Walid arbeitete von früh an als Autowäscher und Offsetdrucker. Schulbildung? Dafür fehlte die Zeit. Mit 18 begann er seine Flucht auf eigene Faust. Für einen Schleuser war er zu arm. Von Syrien floh er in die Türkei, von dort wollte er nach Griechenland. Sieben Mal hat er es versucht, sieben Mal scheiterte die Fahrt übers Meer. Er sah Mitflüchtlinge sterben, er selbst wurde von Polizei und Grenzern verprügelt. Angst vor dem Wasser hat er bis heute. Und Angst vor der Polizei. Im achten Anlauf klappte die Flucht, und er kam gemeinsam mit seinem heute 26 Jahre alten Bruder irgendwie nach Samos. Die Schwimmweste rettete dem Nichtschwimmer das Leben.

Von erbetteltem Geld lebten die Brüder in einer Hausruine. Später trafen sie einen Kurden, der sie für zwei Euro Lohn am Tag als Näher beschäftigte. Doch Walid wollte weiter. Sein Ziel: eine Fähre nach Italien. Am Stacheldrahtzaun des Fährhafens holte er sich blutige Verletzungen, immer wieder griff ihn die Polizei auf. Als er schon aufgeben wollte, konnte er sich von einer Ampel auf die Plane eines Sattelschleppers hangeln und so auf die Fähre gelangen. "Ich wusste nicht, wo das Schiff hinfährt", berichtet er. Im Zielhafen erkannte er die Landesflagge: Italien war erreicht.

Via Ancona und Mailand kam er in die Schweiz, mit der Hilfe eines Onkels, der dort lebt. Seine Eltern empfahlen ihm, nach Schweden zu gehen, sein Onkel schlug Norwegen vor. "Aber ich wollte nach Deutschland, ich hatte darüber schon viel im Fernsehen gesehen", sagt er. In Grenzach-Wyhlen stellte er sich der Polizei und beantragte Asyl. Er erzählt, wie freundlich und höflich er von den Beamten behandelt wurde. Sogar Cola und Zigaretten gaben sie ihm. Über die Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe landete er in Freiburg. Das Paradies sieht sicher anders aus. Mit zwei weiteren Männern teilte er im Flüchtlingsheim ein enges Zimmer.

Aus Walid wurde Jan, weil er Barbara Davids getroffen hat. Die Filmemacherin leitete eine Filmgruppe beim Jugendtreff Herdern. Jan kam dazu, schon nach kurzer Zeit nahm er sich die Kamera. Sein Film "Warum bist Du hier?" wurde bei der Filmschau Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er machte bei einem zweiten Film ("Ich bin Mensch") mit und beim Projekt "Weit vom Auge, weit vom Herz" von Barbara Davids am Theater Freiburg. Jan Mustafa tanzt, und er rappt. Bald will er es auch auf Deutsch versuchen.

"Ich habe drei Mütter: meine leibliche Mutter, dann Barbara Davids – und Deutschland", sagt er. Er trägt in seinem Rucksack eine sorgsam zusammengefaltete schwarz-rot-goldene Fahne bei sich. Jan Mustafa hat eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis und seit zwei Wochen eine eigene Wohnung. In der Küche eines italienischen Restaurants arbeitet er als Pizzabäcker. So viel Geld, wie er nur kann, schickt er seiner Familie. Sein größter Wunsch: Mutter und Schwester hier zu haben. Erst vor wenigen Wochen haben Terrorkrieger des Islamischen Staates seine Cousine erschossen. Da sind sie wieder, diese Bilder aus seinem alten Leben. Erst am Sonntag kämpfte Jan mit den Tränen, als er ein neues Foto von seinem Vater geschickt bekam. Der hatte vor wenigen Monaten noch schwarze Haare. Jetzt sind sie schlohweiß.

BZ-Podiumsdiskussion "Asyl-Exil-Heimat" in Kooperation mit der Stadt Freiburg und dem ZMF unter anderem mit Grünenpolitikerin Kerstin Andreae, Jan Mustafa, Barbara Davids. Morgen, Mittwoch, 24. Juni, 20 Uhr, Neuer Ratssaal, Rathaus Freiburg.

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