Gesundheit

Stimmung im Wartezimmer kippt: Gewalt gegen Ärzte nimmt zu

Attacken gegen Ärzte, Pöbeleien gegen Pflegekräfte - das kommt immer häufiger vor. Zahlen der Polizei und Studien machen deutlich: Die Helfer in Weiß werden oft selbst zu Opfern. Aber warum?  

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Besonders Pflegekräfte und Notaufnahmeteams berichten von wachsender Aggression – oft ausgelöst durch Überforderung, Alkohol oder lange Wartezeiten. (Symbolbild) Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.

Stuttgart (dpa/lsw) - Im Wartezimmer und beim Arzt wird immer häufiger beleidigt, bedroht und zugeschlagen. Nach einer Statistik des baden-württembergischen Innenministeriums gehört Gewalt gegen das medizinische Personal in immer mehr Kliniken und Pflegeeinrichtungen im Südwesten zum traurigen Alltag. Besonders Pflegekräfte und Notaufnahmeteams berichten von wachsender Aggression – oft ausgelöst durch Überforderung, Alkohol oder lange Wartezeiten. 

Laut Kriminalstatistik der Polizei ist die Zahl der registrierten Straftaten gegen medizinisches Personal in baden-württembergischen Arztpraxen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen in den vergangenen Jahren von 420 auf zunächst 393 und schließlich auf 447 Fälle gestiegen. Grund für den Anstieg sei vor allem die im Jahr 2024 neu eingeführte Kategorie der Beleidigungen auf sexueller Grundlage (26 Fälle). 

Es wird auch das Messer gezogen 

Laut Statistik geht es in den Wartezimmern und Behandlungsräumen vor allem um sogenannte Rohheitsdelikte und um Straftaten gegen die persönliche Freiheit (2024: 367 Fälle). Innerhalb dieser Kategorie stellen Körperverletzungen einen großen Anteil dar (244), wobei vorsätzlich einfache Körperverletzungen dominieren, es wurden auch Dutzende Bedrohungen erfasst. Die Polizei registrierte zudem 14 Messerangriffe, sie stufte viele davon aber als Bedrohungen ein.

Von den insgesamt 389 Tatverdächtigen im vergangenen Jahr haben 260 einen deutschen Pass. 40 Menschen zählen die Behörden als Asylbewerber oder Flüchtlinge, wie das Innenministerium auf Drängen der AfD-Fraktion im Landtag weiter mitteilte. 

Ton wird nicht nur in Praxis rauer 

Die Stimmung kippt in den Behandlungszimmern und Notaufnahmen Baden-Württembergs, das zeigten auch mehrere Umfragen. Nach einer bundesweiten Studie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aus dem vergangenen Sommer haben bereits vier von fünf befragten Ärzten, Psychotherapeuten und Praxismitarbeitende im Jahr zuvor verbale Gewalt in der Praxis erfahren, oftmals mehrfach. Fast jeder zweite (43 Prozent) ist Opfer körperlicher Gewalt geworden, da wurde getreten, geschubst und gespuckt, Personal wurde aber auch schwerer angegriffen.

Dabei wird der Ton gegen die Helfer in Weiß nicht nur in der Praxis rauer, die Medizinerinnen und Mediziner werden auch am Telefon oder im Internet beschimpft oder beleidigt. Laut Umfrage haben 14 Prozent der Betroffenen die Polizei eingeschaltet, viele von ihnen erstatteten auch Anzeige. Jede dritte Praxis hat wegen der zunehmenden Gewalt Vorkehrungen getroffen etwa mit einem Notrufsystem. Viele entfernten auch potenziell gefährliche Gegenstände wie Vasen, Scheren oder Brieföffner, schafften Fluchtwege oder schulten das Personal. Aus Sicht der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) müssten die Kosten für solche Maßnahmen vollständig finanziert werden.

Gewalt wirkt sich auf Personal aus

Nach den Erfahrungen der Landesärztekammer Baden-Württemberg kommt es neben verbalen und physischen Angriffen immer häufiger auch zu sexualisierter und digitaler Gewalt. "Verbale Gewalt nimmt in der Regel zu, je größer die Einrichtung ist, während körperliche Gewalt mehr wird, je kleiner die Praxis oder Klinik ist", teilt die Kammer mit. Folgenlos blieben die zunehmenden Angriffe nicht: Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte sowie deren Mitarbeitenden berichteten, dass ihnen der Beruf deshalb keinen Spaß mehr mache. Es werde schwieriger, gutes Personal zu halten oder zu gewinnen.

Gewalt bricht nach Erfahrungen des Krankenhauspersonals meist aus wegen Wartezeiten in der Notaufnahme, Sprachbarrieren, Sucht oder psychischen Belastungen oder auch durch Konflikte unter den Besuchern. Teilweise unterstellten Angehörige Ärzten auch eine fehlerhafte Behandlung. Besonders betroffen seien Notaufnahmen, psychiatrische Stationen oder Pflegekräfte im Nachtdienst. 

Land will kein zentrales Meldesystem

Viele Betroffene sähen eine Ursache auch in einem gestiegenen Anspruchsdenken von Patientinnen und Patienten, erklärt die Landesärztekammer. Das spiegele einen allgemeinen gesellschaftlichen Trend wider. "Häufig geht es dabei um zeitnahe Termine, Rezepte oder bestimmte Untersuchungen, die eingefordert werden", heißt es weiter. Viele Patientinnen und Patienten seien auch frustriert. "Die Patienten kommen in die Praxis, weil es ihnen nicht gut geht", sagt Robin Maitra, Facharzt für Innere Medizin aus Hemminge (Kreis Ludwigsburg) und Vorsitzender des Arbeitskreises "Gewalt" der Ärztekammer.

Ein zentrales Meldesystem für Beleidigungen und Pöbeleien im Gesundheitswesen oder eine Onlineplattform - wie von der Bundesärztekammer gefordert - hält das Innenministerium dennoch nicht für notwendig. Die bestehenden Wege seien ausreichend, hieß es. 

"Alle Bürgerinnen und Bürger, auch Personen aus dem medizinischen Bereich, welche Opfer von Beleidigungen oder anderen Straftaten geworden sind, können rund um die Uhr bei jeder Polizeidienststelle oder über den polizeilichen Notruf eine Anzeige erstatten", teilte das Innenministerium mit.

Ärztekammer richtet eigene Meldestelle ein

Aus Sicht der AfD ist das nicht genug. "Alarmknöpfe reichen nicht", sagte der innenpolitische AfD-Fraktionssprecher Daniel Lindenschmid. Das medizinische Personal solle niedrigschwellig Anzeige erstatten können. 

Die Landesärztekammer will diese Möglichkeit jetzt auf eigene Faust anbieten. Sie richtet eine anonyme Meldestelle auf ihrer Plattform im Internet ein. "Gewalterfahrungen werden zu oft nicht gemeldet oder angezeigt", sagt Maitra.

© dpa‍-infocom, dpa:250413‍-930‍-435594/1

Schlagworte: Robin Maitra, Daniel Lindenschmid

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