Konsumverzicht
So funktioniert die Do-it-Yourself-Gesellschaft
Leipziger Autorin auf den Spuren der Do-it-Yourself-Gesellschaft.
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Ob die Journalistin und Buchautorin Taubert diese Angst tatsächlich so real verspürt? Ihre aus Thüringen stammende Familie hat immerhin in den letzten drei Generationen drei Gesellschaftszusammenbrüche erlebt – es könnte also sein. Vielleicht dient Taubert die Angst auch nur als Aufhänger für ihre Spurensuche in einem Milieu, das gerade viele Schlagzeilen macht: Es sind die Konsumaussteiger, die als Selbstversorger, Selbermacher und Tauschwirtschaftler zig Websites betreiben, die helfen, mit wenig Geld und viel Gemeinschaft durchs Leben zu kommen.
Tauberts Fazit über ihr Jahr der Spurensuche: "Es war ein irrer Trip." Auf diesen nimmt sie den Leser ihres Buches "Apokalypse jetzt" mit – Schritt für Schritt. Sie ist eine gute Beobachterin, hat ein Herz für Freaks, aber auch die gebotene Distanz. Und sie unterfüttert ihre Erfahrungsberichte jeweils mit Ausführungen zu aktuellen Debatten zum Thema. So ist ein unterhaltsames Kompendium der konsumkritischen Gesellschaftsbewegungen entstanden.
Ihr Ausgangspunkt – "Ich glaube an einen Crash wegen Krisenkumulation, wegen Hyperkonsumismus, Wachstumsdiktat und Ressourcenknappheit" – führt Taubert zunächst in eine eher radikale Ecke: Menschen, die wegen des bevorstehenden Untergangs Notvorräte bunkern. Zu kaufen gibt’s die etwa bei Reto Schätti in der Schweiz. 2011, im Jahr der Griechenlandpleite, sind seine Umsätze Taubert zufolge um 500 Prozent gewachsen. Mit Angst kann gut Geld verdient werden. Weiter geht’s zur Rohköstlerin Brigitte, die sich von allem ernährt, was Wald und Wiese bieten, inklusive importierter Früchte und Gemüse. Von ihr stammt die Erkenntnis: "Man muss die Wildnis und die tollen Früchte und die Fitness lieben – sonst klappt es nicht."
Klimawandel, die Endlichkeit der Ressourcen – das mag ein wichtiger Antrieb der konsumkritischen Bewegungen sein. Daneben steht jedoch ein zweiter, fast ebenso wichtiger: Die Suche nach einem besseren Leben für den Einzelnen. Das Motto der neuen Bewegungen ist: Ohne Spaß geht es nicht. Die Lust auf neue Klamotten wird dann eben verstärkt über Tauschbörsen wie Kleiderkreisel oder Selbstschneidern befriedigt. Den globalen Wirtschaftskreisläufen werden lokale Shareconomies und Do-it-Yourself-Bemühungen entgegengesetzt.
Die sehen auch Wachstumskritiker wie Niko Paech oder Harald Welzer als zukunftsträchtig an – im Gegensatz zum klassischen Konsum. Welzer sieht in unserer Gesellschaft gar einen "totalitären Konsumismus" am Werk, gegen den man sich wehren müsse. "Selbst denken" heißt denn auch sein gerade als Taschenbuch erschienenes Werk, in dem er eine "Anleitung zum Widerstand" formuliert. Auch der Volkswirtschaftler Niko Paech fordert eine "Befreiung vom Überfluss" und propagiert eine Postwachstumsökonomie. Er argumentiert dabei auch mit dem Wohl des Individuums: "Der Ressourcenverbrauch überfordert den Menschen auch psychisch", erklärt Paech der Süddeutschen Zeitung. Er setzt auf eine Wirtschaft parallel zur klassischen – mit Tauschen, Selbermachen und Gemüseanbau.
Greta Taubert ist in ihrem Versuchsjahr auf einem guten Weg dahin. Das Hauptproblem eines Konsumverweigerers – das zeigt sich schnell – ist der Hunger. Wo gibt’s unkapitalistisches Essen? Taubert gräbt in einem Urban-Gardening-Projekt am Rande Leipzigs den Boden um und erntet mit der Zeit tatsächlich jede Menge Karotten und Pastinaken. Das Knowhow in dem Gemeinschaftsprojekt kommt von einem Gärtner, der sich dort engagiert.
Diese Art von Gemeinschaft ist bei den neuen Bewegungen Trumpf. Vermittelt werden die Kontakte übers Internet. "Die Netzwerke sind die Währung, die wir statt Geld benutzen", sagt Taubert. Und es funktioniert: Mittels Couchsurfing in den Urlaub? Kein Problem. Auch Facebook-Freunde vermitteln gerne Wohnraum in Barcelona oder sonstwo. Die Lebensweise vieler Konsumaussteiger ist etwas für Hartgesottene, das verschweigt Taubert nicht. So wohnt sie unterwegs in einem "Nomad Space" – einer Wohnung, die ein Paar als Bleibe auf Zeit zur Verfügung stellt. Dort kommt und geht die neue Gesellschaft, wie sie will. Mit nicht nur angenehmen Folgen: "Ich kann hier nicht atmen", stellt Taubert fest – schuld ist der Dunst aus Müll und Körperschweiß, der in der Wohnung hängt. Denn allabendlich gehen die Bewohner containern – sie fischen entsorgte Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten.
Mit selbstgehacktem Holz heizen, mit nur drei Litern Wasser am Tag klarkommen, ein Kompostklo bauen – Taubert lässt kaum ein Ökothema aus. Und porträtiert fast nebenbei Gesellschaftsutopisten aller Couleur, die in ihren jeweiligen Nischen Neues erproben. Bei aller Lust am Aufbruch, die Taubert in ihrem Jahr des Konsumverzichts entwickelt, wird auch deutlich: All die Versuche, wenig Geld in die globalisierte Wirtschaft zu stecken, kosten viel Zeit. Der Aufbau der von Paech geforderten Parallelwirtschaft oder das "Andersleben", wie Taubert es nennt, ist mit einer klassischen Karriere kaum zu vereinen. Volkswirtschaftler Paech propagiert deshalb eine 20-Stunden-Arbeitswoche.
Und Taubert? "Kräftezehrend" sei es gewesen, schreibt die Autorin am Schluss ihrer Spurensuche. Aber die Gemeinschaftserfahrung habe sie auch unheimlich reich gemacht. Die rosa Utopistenbrille will sie deshalb unbedingt aufbehalten.
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