Sich nicht in Ordnern abheften lassen
In Bov Bjergs Roman "Auerhaus" versuchen Schüler, ihr Leben anders zu führen als die Masse.
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Der in Freiburg lebende Kabarettist, Autor, Musiker und Fotograf Jess Jochimsen (Jahrgang 1970) stellt in der BZ unregelmäßig Lieblingsbücher vor. Heute: "Auerhaus" von Bov Bjerg.
Es waren namhafte Schriftstellerkolleginnen und -kollegen wie Terézia Mora, Clemens Meyer, Christoph Hein oder David Wagner, die Bjergs Buch vorab in den höchsten Tönen lobten und der kleine, aber sehr feine Blumenbar-Verlag, der alles dafür tat, dass diese Stimmen auch gehört wurden. Nach der Lektüre kommt man nun nicht umhin, ihnen zu danken und zu hoffen, dass sich die Mühe gelohnt haben möge.
"Auerhaus" gehört nicht zu den raren Büchern, die man – nachdem man es gelesen hat – sofort ein zweites Mal lesen will, sondern zu denen, die man dann tatsächlich auch ein zweites Mal liest; weil man die Geschichte noch nicht hergeben, sie noch ein wenig für sich allein haben möchte. Dann aber kann man nicht anders: Man geht in die Buchhandlung, kauft gleich fünf Exemplare dieses unerhörten und anrührenden Romans und schenkt sie seinen Liebsten. Wickelt sie in Geschenkpapier und schickt sie den Jugendfreunden, der ersten großen Liebe, sogar den Eltern. Bestellt noch ein paar Exemplare, weil fünf nicht reichen, weil da noch mehr sind, mit denen man seinerzeit geträumt und gelitten hat, mit denen man auf- und ausgebrochen ist, mit denen man das Staunen, Lachen und Weinen teilen will.
Bjerg erzählt die Geschichte einer Handvoll Idealisten, die sich dagegen wehren, dass ihr Leben in Ordnern mit der Aufschrift "Birth – School – Work – Death" abgeheftet wird, und die deswegen in eine Schüler-WG auf dem Dorf, ins "Auerhaus", ziehen. So wie man beim vorgesehenen Leben in Ordnern den wütenden Song der Godfathers durchhört, so gründet sich "Auerhaus" explizit auf das hymnische "Our House" von Madness, und damit auf den Traum, sein Leben irgendwie anders zu führen als die Masse – und sei es nur aus Notwehr gegen das Vorgefundene.
Ohne allzu viel zu verraten: Es wird viele geben, die – wie David Wagner – urteilen werden: "Wir sollten alle im Auerhaus wohnen." Sie haben Recht. Und es wird ebenfalls viele geben, die "Auerhaus" mit Wolfgang Herrndorfs "Tschick" vergleichen werden, wobei sich solche Vergleiche eigentlich verbieten. Aber ganz falsch liegen sie nicht. Wegen des Sounds, der Aufrichtigkeit, der Dringlichkeit – und auch der Traurigkeit. Denn in "Auerhaus" klingt auch das "Aua"-Haus an, in dem eben nicht nur Mut, Rebellion und Sehnsucht beheimatet sind, sondern auch der Schmerz. Einer der sechs jungen Menschen, Frieder, ist seines Lebens so müde, dass aus dem Ringen um Glück ein Kampf um Leben und Tod wird.
Bov Bjerg schenkt uns mit seinem Roman eine wunderbare Geschichte von existenzieller Einsamkeit und wahrhaftiger Gemeinschaft und erzählt, wie es ist, wenn man den Unterschied kennt."Frieder hatte am Heiligen Abend den großen Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz gefällt. (...) Das war nicht der Anfang der Geschichte, und das war nicht das Ende. (...) Aber das war das, was jeder von Frieder wissen sollte."
Ja! Jeder und jede sollten das wissen!
– Bov Bjerg: Auerhaus. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2015. 240 S., 18 Euro. Hörbuch, gelesen von Robert Stadlober. Aufbau Audio, 16,99 Euro.
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