Titisee-Neustadt
Schlangen-Experte: "Ich habe selber eine Grundangst"
Heute ist Weltschlangentag. Gerrit Müller aus Titisee-Neustadt kennt sich auch mit diesen Tieren aus. Und siehe da, selbst ihm ist es mit Kreuzottern, Schling- und Ringelnattern nicht immer wohl.
Do, 16. Jul 2020, 13:20 Uhr
Titisee-Neustadt
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BZ: Herr Müller, braucht es einen Weltschlangentag? Es gibt doch auf allen Kontinenten außer Arktis und Antarktis genug davon, viele giftig und mörderisch. Und sie hat einen miserablen Ruf, angefangen beim Paradies bis hin zum Dschungelbuch oder getrockneten Delikatessen auf chinesischen Märkten.
Müller: Nein, das ist zu hoch gehängt. Allenfalls, um Bewusstsein zu schaffen für die Notwendigkeit eines Reptilienschutzes.
BZ: Glauben Sie, dafür nützt der Tag etwas? Die meisten Menschen finden Schlangen abstoßend und haben Angst. Die schüttelt es schon beim Gedanken.
Müller: Tatsächlich ist die Angst vor Schlangen ein Phänomen, das vielleicht durch Öffentlichkeitsarbeit korrigiert werden könnte.
Müller: Absolut, da ich selber eine Grundangst vor Schlangen habe.
BZ: Hoppla, das ist eine Überraschung!
Müller: Auch bei mir löst ein zu meinen Füßen auftauchendes Tier den Reflex Achtung und ein instinktives Panikgefühl aus. Sobald ich erkennen kann, was es ist, helfen mir Vernunft und Erfahrung, den Schrecken einzufangen. Ich weiß, dass Schlangen entgegen verbreiteten Legenden Menschen nur in absoluten Notsituationen angreifen. Also ist der Schauder nur von kurzer Dauer.
BZ: Fragen wir mal so: Wozu ist eine Schlange nütze?
Müller: Wir leben nicht mehr zu Papa Brehms Zeiten, als Pflanzen, Tiere und leider auch Menschen nach ihrer Nützlichkeit beurteilt wurden.
BZ: Und deshalb ist es gerechtfertigt, auch viel Geld und haupt- und ehrenamtlichen Einsatz – Sie und Ihre Schar Helfer – parat zu halten?
Müller: Wenn sich dadurch Erfolge erzielen lassen, dann ja.
BZ: Was wäre denn ein Erfolg?
Müller: Dass die Population in einem überlebensfähigen Umfeld nachhaltig bestehen kann.
BZ: Welches Alleinstellungsmerkmal hat Titisee-Neustadt mit seinen Schlangen?
Müller: Durch die Grenzlage zwischen rauem Hochschwarzwaldklima und warmen Einflüssen von der Wutach her kommen hier drei von vier im Südwesten vertretenden Arten vor, Kreuzotter, Schling- und Ringelnatter.
Müller: Nach dem letzten Monitoring würde ich von der tatsächlich gefundenen Zahl der Exemplare hochrechnen auf ungefähr 100 Kreuzottern, 30 Schling- und zehn Ringelnattern.
BZ: Was macht den Standort Titisee-Neustadt so besonders?
Müller: Es ist eines der letzten fünf Verbreitungsgebiete im Südwesten neben Aufen, Hammereisenbach, Boll, Menzenschwand und dem Lenzkircher Urseetal.
BZ: Wie hat sich das Aufkommen in den sagen wir letzten 50 Jahren verändert? Unter welchen Einflüssen? Wo liegen noch Wohnzimmer der Schlange?
Müller: Die Vorkommen sind inzwischen alle isoliert. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, das Dichterwerden der Wälder, die Zunahme des Verkehrs und der Siedlungen sind die natürlichen Verbindungen unterbrochen worden. Das Aufkommen der wärmeliebenden Schlingnatter ist vom Klimawandel unterstützt worden.
BZ: Was ist, bezogen auf Landschaftsplanung und Siedlungsgebiet, für das Wohl der Schlangen zu tun?
Müller: Man kann sich ein Beispiel nehmen am aufwendig erarbeiteten Konzept mit den entsprechend beachtlichen Folgekosten, mit denen die Stadt Titisee-Neustadt für die Unterstadtanbindung und das Gewerbegebiet Bildstöckle einen Ausgleich geschaffen hat und der Bedeutung der Population gerecht wird. Der Ausbau der Höllentalbahn hat die Schlangen zumindest kurzfristig leider mehr gestört als erwartet.
Müller: Es fing an mit meiner Forstamtstätigkeit am Hochrhein, wo es mir vor fast 40 Jahren mithilfe dreier Reptilienexperten gelang, die für ausgestorben gehaltene Aspisviper zu entdecken. Hier bekam ich die entscheidenden Anstöße für meinen Einsatz für Reptilien. 1992 dann, als ich Forstamtsleiter in Titisee-Neustadt wurde, stellte ich fest, dass die hiesige Kreuzotternpopulation aus verschiedenen Richtungen bedroht war. Entscheidend für den Einsatz war dann, dass ich die zusätzliche Funktion als Naturschutzbeauftragter übernahm. Von da an wurde ich ernstgenommen.
BZ: Welches ist Ihre Lieblingsschlange?
Müller: Das Wort Liebe passt nicht auf diese Beziehung, von Interesse und Fürsorge würde ich sprechen. Die Kreuzotter hat hier eine besondere Bedeutung durch den lokalen Bezug und die Hauptverantwortung, die ich fühle.
Müller: Ich sage es frei nach Albert Schweitzer, habt Ehrfurcht vor dem Leben in allen Erscheinungsformen.
BZ: Aber schlagen wir den Bogen zurück zum Anfang: Die Schlangen sind giftig.
Müller: Nur selten wirkt nach einem Biss das Gift, eher erleidet man einen Allergieschock und kollabiert.
BZ: Und was raten Sie in dem Fall dem Gebissenen? Die Wunde mal eben aussaugen, wie man verschiedentlich hört?
Müller: Nichts tun, cool bleiben, ins Krankenhaus gehen, vielleicht noch mit dem Smartphone Fotos von der Schlange und dem Biss machen, den sieht man schon. Müller anrufen, ich habe die Nummern von allen Krankenhäusern, die Serum vorhalten.
BZ: Sind Sie schon gebissen worden und wenn ja, mit welchen Folgen?
Müller: Glücklicherweise nicht, da ich ein eher übervorsichtiger Mensch bin. Im Gegensatz zu fast allen meinen Reptilien-Freunden.
BZ: Was wünschen Sie sich noch für "Ihre" Schlangen?
Müller: Dringend nötig ist ein Informationssystem für Begegnungen zwischen Schlange und Mensch, Spaziergänger, Hundegeher, Radfahrer. Dort, wo das Aufkommen besonders groß ist, östlich und westlich des Bahnhofs Hölzlebruck.
BZ: Was würde uns Menschen denn fehlen ohne Schlangen?
Müller: Eigentlich – nichts. Es ist wie bei so vielen Dingen: Es würden nur wenige merken. Erst, wenn mehr zusammenkommt, würde man irgendwann merken, dass an den Grundlagen unseres Lebens etwas fehlt.
Gerade ist Gerrit Müller 67 geworden, der ehemalige Forstamtsleiter und langjährige Naturschutzbeauftragte. Der Hochschwarzwald ist längst seine Wahlheimat. Forstwissenschaft studiert hatte er in Freiburg, Stationen seines Berufs erlebte er in ganz Südbaden, unterbrochen von einem zweijährigen Forschungsaufenthalt in Algerien. 1992 kam er nach Titisee-Neustadt. Den Schlangen gilt sein Augenmerk bis heute, noch mehr aber ist ihm das Auerhuhn ein Anliegen. Ruhestand? Bei Müller nur mit der Vorsilbe Un-.
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