Eurovision Song Contest
Russen sind nach dem Sieg der Ukraine verstimmt
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Eurovision können die Schweden. Nicht nur, weil die Gastgeber den Wettbewerb bislang sechsmal gewonnen haben, in diesem Jahr auf Platz fünf landeten und schwedische Komponisten an sechs weiteren Kompositionen, darunter der aus Russland, beteiligt waren. Sondern auch, weil sie den ESC gekonnt selbstironisch in Szene setzten und in einer grandiosen Nummer alle denkbaren Klischees des Wettbewerbs zusammenrührten. Passender Titel: "Love Love Peace Peace".
Das ist die eine Seite des Wettstreits. Doch als sich die 32-jährige Jamala nach ihrem Sieg "Frieden und Liebe für alle" wünschte, wirkte das plötzlich gar nicht mehr wie eine Selbstparodie. Zu viel Gefühl hatte die Kandidatin der Ukraine zuvor in ihren Auftritt gelegt und besungen, wie ihre Urgroßmutter Nasylchan mit fünf Kindern nach Zentralasien deportiert worden war. Befohlen hatte dies der sowjetische Diktator Josef Stalin, der die Krimtataren beschuldigte, mit dem deutschen Reich kollaboriert zu haben.
Düstere englische Zeilen, moderne Beats, ein auf Krimtatarisch angestimmter Refrain vor feuerroter Kulisse – was auf dem Papier kaum zusammengeht, fügte sich beim ESC-Finale zu einem beeindruckenden Klagelied zusammen. Damit stach die Tochter eines muslimischen Vaters und einer christlichen Armenierin aus dem schrill-belanglosen Umfeld so stark heraus, dass Zuschauer und Jurys sie jeweils auf den zweiten Platz wählten. Zweimal Zweiter und dennoch gewonnen? Ja, denn in diesem Jahr wurden die Abstimmungsergebnisse von Anrufern und Jurys getrennt ausgewertet und lagen teils weit auseinander.
Bei den zunächst bekannt gegebenen Jurystimmen lag die australische Teilnehmerin Dami Im mit "Sounds of Silence" auf Platz eins. Die Zuschauer wählten den Russen Sergej Lasarew auf die Eins. "You Are The Only One" ist zwar ein läppisches Liedchen, aber das merkte man kaum angesichts aufwändiger Inszenierung, bei der der Sänger durch das Weltall zu schweben schien. Dass die Zuschauergunst nicht reichen würde, die Ukraine vom ersten Platz zu stoßen, klärte sich erst in letzter Sekunde. Unter Spannungsgesichtspunkten hat sich das neue Verfahren schon beim ersten Einsatz bewährt.
vereinnahmt
Die größte Diskrepanz gab es beim polnischen Beitrag, der bei den Jurys auf dem vorletzten Platz landete, von den zahlreichen Zuschauerstimmen aber auf den achten Platz hochgehievt wurde. Der in eine Art Zirkus-Roncalli-Jackett gekleidete Michał Szpak wirkte mit Auftritt und Gesichtsbehaarung absolut aus der Zeit gefallen, seine einhundert Prozent ironiefreie Popballade "Color of Your Life" stieß bei den Zuschauern aber offenkundig auf große Sympathien. Auf eine solche Rettung in letzter Minute hatte man auch in Deutschland gehofft, nachdem Jamie Lee nur einen kläglichen Jury-Punkt aus Georgien erhalten hatte. Doch auf diesen folgten nur noch acht Zuschauerpunkte aus der Schweiz und zwei aus Österreich.
Dabei hatte die 18-jährige einen guten Auftritt absolviert, ihr Song "Ghost" hinterließ aber wohl schlichtweg zu wenig Eindruck. Das hielt die Bayern-AfD allerdings nicht davon ab, selbst dieses Ergebnis irgendwie mit der Politik von Angela Merkel erklären zu wollen. Nun steht zu befürchten, dass der verantwortliche NDR wieder in Aktionismus verfällt und das nationale Auswahlverfahren einmal mehr umzustellen droht. Dabei würde ein Blick zurück genügen: Am erfolgreichsten war man zuletzt mit dem von Stefan Raab eingeführten Auswahlverfahren über mehrere Sendungen hinweg, wie es die Schweden schon lange und höchst erfolgreich etabliert haben.
Ausgerichtet wird der ESC im nächsten Jahr in einem Land im Kriegszustand. Die Ukraine war nach dem Sieg von Sympathieträgerin Ruslana 2005 Gastgeber und will auch 2017 einen sicheren Wettbewerb ausrichten. Auch wenn Nationalisten eine rückeroberte Krim als Austragungsort ins Spiel bringen, stellte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko klar, dass seine Stadt der beste Ort für die Veranstaltung sein. Man darf gespannt sein, ob Russland teilnehmen wird – und wenn ja, mit welchem Beitrag.
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