Nürnberg

Rock am Ring: Abrocken in Zeiten des Terrors

Die Fans am Nürburgring und in Nürnberg erlebten am Wochenende besonders viele explizit politische Bands.  

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Deutschland-Debüt für Prophets of Rage: Rapper B-Real und Gitarrist Tom Morello Foto: Stefan Rother
Dass es auf den beiden größten deutschen Rockfestivals Rock am Ring (Nürburgring, rund 87 000 Zuschauer) und Rock im Park (Nürnberg, rund 85 000 Zuschauer) politisch werden würde, war von vornherein klar: Zum einen sind in der Trump-Ära die Zeiten danach, zum anderen standen dieses Mal besonders viele explizit politische Bands auf den Bühnen der Parallelfestivals. Unerwartet kam aber hinzu, dass das Festival selbst und dessen Veranstalter zum Politikum wurden: Am Freitagabend musste das Festival am Ring "aufgrund einer terroristischen Gefährdungslage" vorläufig abgebrochen werden. Es bestand der Verdacht, dass Mitglieder der hessischen Salafistenszene Zugang zum Gelände hatten.

Ob die Polizei im Verlauf des Wochenendes bei ihren Ermittlungen – etwa Wohnungsdurchsuchungen in Hessen – fündig wurde, teilten die Behörden nicht mit. Gegen drei Männer wurden Ermittlungsverfahren wegen der Vorbereitung eines "Explosionsverbrechens" eingeleitet. Einen konkreten Tatverdacht gab es jedoch nicht, zitierte die Deutsche Presse Agentur am Montag die Polizei.

Nachdem sich, wie es im Polizeideutsch hieß, "die Verdachtslage relativiert" hatte, ging das Musikgeschehen am Samstag planmäßig weiter, eine Wutbürgerrede von Veranstalter Marek Lieberberg zeigte allerdings nachhaltigere Auswirkungen. Während das Publikum beim Verlassen des Geländes betont gelassen "Terror ist Scheiße"-Gesänge anstimmte, klagte Lieberberg, er "habe bisher noch keine Moslems gesehen, die zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind". Offenbar hat der Veranstalter in den vergangenen Jahren bei den zahlreichen Solidaritätskundgebungen von muslimischen Verbänden immer weggesehen – ganz abgesehen von der Debatte, warum von "den Muslimen" hier eine besondere Bringschuld erwartet werden sollte.

Für Differenzierung in der Debatte sorgen Kampagnen wie "Not My Islam", aber gerade diese attackierte Lieberberg auch noch mit rüden Worten. Dafür gab es erwartbarerweise Beifall von Rechtsaußen, befremdlicherweise aber auch von Medienvertretern in der Pressekonferenz. Bei einem weiteren Auftritt am Samstag lobte der Veranstalter die Fortsetzung des Festivals dann mit den Worten: "Wir haben hier auch ein Zeichen für unsere Kultur gesetzt, für unsere Zivilisation" – seine Tiraden gehörten wohl kaum dazu.

Klare Ansagen gab es auch von den zahlreichen Bands auf den Drei-Tage-Festivals – allerdings mit einer dezidiert anderen Zielrichtung. Als am Freitagabend die betrübliche Kunde vom Ring auch im Park angekommen war, beließ es Tote-Hosen-Frontmann Campino noch bei dem Statement: "Das Ziel von den Wixern ist erst erreicht, wenn wir keinen Spaß hier haben". Bei den mit den Hosen befreundeten Punkrockern "Die Broilers" warnte Frontmann Sammy Amara am Sonntag, dass Terroristen und Rechtspopulisten jeweils voneinander profitieren würden. Und die Aktivisten-Punks von Feine Sahne Fischfilet forderten angesichts der jüngsten kontroversen Abschiebeaktion in Nürnberg, die verantwortlichen Politiker sollten allesamt "zwei Wochen Urlaub in Afghanistan machen".

Zahlreiche Wortmeldungen also, aber wie wird solcher Aktivismus in Musik umgesetzt? In so ziemlich jedem denbaren Genre, lautete die Antwort auf den Festivals. So steht das HipHop-Duo Macklemore & Ryan Lewis einerseits für hedonistische Partyfreude, die auch in Nürnberg die Menge zum Beben brachte – andererseits für engagierte Texte, etwa ein Plädoyer für die gleichgeschlechtliche Ehe. Auch den Song "FDT" (Fuck Donald Trump) hatten sie im Repertoire und lieferten damit eine von vielen Kampfansagen an den amerikanischen Präsidenten.

Revolutionäre Mischung aus Rap, Rock und Metal

Die Prophets of Rage hatten sich sogar eigens für den Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr gegründet und gaben nun bei den Festivals ihr angemessen wütendes Deutschland-Debüt. Für die Supergroup haben sich Mitglieder von drei der politischsten und musikalisch einflussreichsten Bands Amerikas zusammengeschlossen. Das Grundgerüst bilden dabei Musiker von Rage against the Machine, die ihren Aufruf zur Revolution gegen die US-amerikanische Innen- wie Außenpolitik in eine ähnlich revolutionäre Mischung aus Rap, Rock und Metal umgesetzt haben.

Für ihr neues Projekt bekommen sie nun Unterstützung von DJ Lord und Rapper Chuck D der HipHop-Gruppe Public Enemy, die als musikalische Pioniere und wütende Stimme der Afro-Amerikaner in den USA gelten sowie Rapper B-Real von Cypress Hill, eine der erfolgreichsten Latino-amerikanischen HipHop-Gruppen. In der Summe ergibt dies ein explosives Gemisch mit zahlreichen Hits im Gepäck, das von Tom Morello zusammengehalten wird, der seine Gitarre mit zahlreichen Effekten in ein revolutionäres Instrument verwandeln kann. Auch jenseits der Konzertbühne ist der studierte Politologe aktiv und hat mit Serj Tankian die Aktivisten- und Studiengruppe Axis of Justice gegründet. Tankian stand mit seiner armenisch-amerikanischen Band System of a Down ebenfalls bei den Festivals auf der Bühne und präsentierte einen Mix aus Metal, Folklore und Avantgarde. Zuvor hatte er sich zu den Prophets of Rage gesellt, um dem verstorbenen Soundgarden-Sänger Chris Cornell mit dem Song "Like a Stone" von Audioslave – einer früheren Kollaboration von Cornell mit den Rage against the Machine-Musikern – zu gedenken. Vernetzung allerorten also, die auch für den brandneuen Prophets-Song "Unfuck the System" galt, für dessen Video Filmemacher Michael Moore Regie führte.

Natürlich war nicht jeder Zuschauer zu den Festivals gekommen, um die revolutionäre Faust in den Himmel zu recken. Viele wollten einfach nur friedlich feiern, wobei auch das als implizites Zeichen verstanden werden konnte – "Saufen gegen Terror" stand etwa auf einem Schild in der Menge. Dennoch blieb dieser gegenwärtig, wie sich auch beim Auftritt von Liam Gallagher zeigte: Dieser wurde eigens vorverlegt, damit der Sänger am Sonntag direkt von Rock im Park zum Benefizkonzert für die Terroropfer in Manchester fliegen konnte.

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