Rette sich, wer kann!
Wenn die blöde Sonne nicht gehorchen will und untergeht: Neue Bücher über Wut.
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Da ist zum Beispiel jener niedliche Klippschliefer, der sich Abend für Abend auf seinem Hügel in Rage tobt, weil die blöde Sonne ihm einfach nicht gehorchen will: "Nicht untergehen! Nein! Nicht! Lässt du das bitte bleiben! Ich warne dich!", schreit er und fuchtelt mit den Fäusten gen Horizont, bevor er tiefgekränkt von dannen zieht. Der Elefant dagegen ist wütend auf sich selbst, weil er immer wieder vom Baumwipfel purzelt, und die erboste Kröte versucht’s mit Runterschlucken, Wegsingen und Belächeln, während das Erdferkel immerhin beim Kopfstehen verlässlich gute Laune kriegt. Unter dem programmatischen Titel "Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen" erzählt der niederländische Autor Toon Tellegen zwölf hintergründige, hinreißend komische Tiergeschichten, von Marc Boutavant kongenial bebildert. Kinder können sich in den liebenswert-schrulligen Protagonisten wiedererkennen – und sich doch prächtig amüsieren.
Stinksauer ist auch jener halslose Koloss, der in Anke Kuhls erstem Kindercomic "Lehmriese lebt!" so tollpatschig wie erfolglos auf Arbeitsuche geht: Im Wald reißt er Douglasien statt Unkraut aus, beim Frisör schmiert er der Kundin seine Matschpfote in die blaue Mähne, und im Supermarkt wirft er nach einem Ungeschick die Marktleiterin in hohem Bogen in die Frischfischtheke. Armer dummer Goliath – so viel Kraft und null Erfolgserlebnis! Als Kommissar Kopp zwei selten dusslige Feuerwehrmänner ordert, um den randalierenden Lehmriesen vom Rathausdach zu spritzen, können nur noch Olli und Ulla helfen. Die haben ihn nämlich eigenhändig am Flussufer zusammengemanscht. Eine ebenso fantasievolle wie spannende Adaption des Golem-Mythos, mit viel Slapstick in Panels und Sprechblasen gegossen. Dabei bevölkert Kuhl ihre Geschichte mit kulleräugigen Kleinstadt-Originalen zwischen Mensch und Tier und spielt virtuos mit Perspektiven und Erzählstrategien. Die Botschaft: Frust macht Wut, schon deswegen braucht jeder eine passende Aufgabe.
"Suchst du Streit?" heißt Karsten Teichs köstliches, interaktives Bilderbuch, dessen Held mächtig auf Krawall gebürstet ist. "Was glotzt du so?" stänkert der Cowboy auf menschenleerer, staubiger Wildwest- Straße – und meint damit ganz offensichtlich den ahnungslosen Leser. Seite für Seite entspinnt sich ein bissiger Dialog, bei dem der Raufbold bedrohlich näher kommt und sogar seine Waffe zückt. Zum Glück ist es ein Bananencolt, und so muss man beim Vorlesen auch nur ganz fest pusten, um den Cowboy auf den Mond zu schießen. Ein Rollenspiel um Aggression und Gegenwehr, von Teich mit pointierten, knappen Sätzen und stimmungsvollen Bildern so lebendig in Szene gesetzt, dass daraus eine kleine feine Übung in Sachen Selbstbewusstsein wird. Herrlich – gleich noch mal!
In die Vollen geht Heinz Janisch in seinem Bilderbuch "Wenn Lisa wütend ist", das Manuela Olten in doppelseitigen Allmachtsfantasien so lustvoll wie anschaulich illustriert. Denn wenn diese Göre im lieblichen Spitzenrock der Jähzorn packt, dann rette sich wer kann! Dann verknotet Lisa Bäume, verschiebt Häuser, knurrt, schreit, tobt und trampelt, dass es bestimmt noch auf der anderen Erdhälfte zu hören ist. Bis ihre ganze Wut in der Luft zerfetzt und dann wie weggeblasen ist – das ist wahrlich ein imposantes Spektakel. Aber so ist das nun mal mit stürmischen Gefühlen: Will man nicht dran ersticken, müssen sie raus. Wo und wie, das erzählen diese Geschichten.
– Toon Tellegen, Marc Boutavant: Man wird doch wohl mal wütend sein dürfen. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Carl Hanser Verlag, München 2015. 80 Seiten, 14,90 Euro. Ab 6.
– Anke Kuhl: Lehmriese lebt! Reprodukt Verlag, Berlin 2015. 96 Seiten, 18 Euro. Ab 6.
– Karsten Teich: Suchst du Streit? Hinstorff Verlag, Rostock, 2015. 32 Seiten, 14,99 Euro. Ab 5.
– Heinz Janisch, Manuela Olten: Wenn Lisa wütend ist. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim Basel, 2015. 30 Seiten, 12,95 Euro. Ab 3.
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