Rastafari und Dieters Referenz
Das Sesam-öffne-dich beim Chiemsee-Festival 2004 ist die Pressemarke - die Privilegien allerdings halten sich in Grenzen.
JuZ-Mitarbeiter Edgar Jakobi
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Als "Very Important Person", als "Mr. Wichtig" reise ich zum Chiemsee-Reggae-Festival 2004 in Übersee. Das muss fast wie im Himmel sein, wo man vom Heiligen Petrus persönlich empfangen wird, denke ich auf dem Weg in die bayrischen Voralpen. Dort haben sich in diesem Jahr 25 000 Reggae-Fans versammelt, um das 10-jährige Jubiläum dieses legendären Festivals zu feiern.
Kann doch auch nicht sein, dass wir als VIPs auf denselben weit entfernten Parkplätzen parken wie alle, auf demselben überfüllten Zeltplatz schlafen und kein bisschen wichtiger oder gar weniger durch denselben Zentimeter hohen Schlamm waten? Wozu sonst "VIP"? Okay, dank der Referenz von Dieter und etwas gewichtigerem Verhalten, können wir dann doch direkt vorm Festivalgelände parken. Und so hatte ich mir das VIP-Sein ja auch vorgestellt.
Aber es gibt hier noch viel zu lernen für uns, denn Wichtigkeit bedeutet auch Autorität und Autorität zeigt Wirkung. So kehren denn auch - dem autoritären Verhalten der Polizistenschar sei's gedankt - die Rastajünger in Bayern dem Marihuana den Rücken und greifen ausgiebig zum Alkohol, obwohl "Jah", der Gott der Rastafaris, doch abstinent ist. Apropos "Autorität": bei so viel Autorität muss "VIP/Presse" echt aufpassen, nicht in Unwichtigkeit zu versinken.
Schon in der Warteschlange für den VIP-Pass war klar, dass es hier darum geht, zu welcher VIP-Kaste man fortan gehört. Welche Kaste mag wohl die höchste sein? Ist Dieter in der höchsten Kaste? Sylvi, die beim Summerjam 2004 in Köln, für die VIPs Petrus-ähnliche Funktionen innehatte und jetzt selbst mit uns im Regen steht und auf ihre VIP-Marke wartet, erklärt: "Wenn du bei den Rastas erst einmal unter dem Schutz von Jah bist, stehen dir alle Wege offen." Dann, sagt Sylvi, ist es nur noch wichtig, die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt zu tun: "Yes, respect, respect! Everyting irie?" Dazu nicht vergessen: bei der Begrüßung die Faust zum Gruß ausstrecken und anschließend als Zeichen der brüderlichen Verbundenheit diese zum Herzen führen. Dazu ein kurzes aber bedeutendes "bless I" und du bist unter den Rastajüngern aufgenommen. Aber nicht alle VIPs haben dieses Religiöse. Meistens sind die Ordner mit den gelben Leibchen sogar noch viel wichtiger und mächtiger, als manch ein großer Prediger. Die Hierarchien funktionieren nicht nach festen Regeln. Cocoa Tea, seines Zeichens jamaikanischer Reggae-Star, zollt mir beispielsweise echten "Bruder"-Respekt. Hingegen lässt mich der Dixie-Klo-Bewacher nicht auf die bewachte Security-Toilette - allen VIP-Marken und allem "bless I" und "Jah Rastafari" zum Trotz.
Es scheint zwei unterschiedliche Strukturen zu geben. Auf der einen Seite stehen die Leute von der Security, an deren Spitze sich möglicherweise Dieter Möck befindet. Auf der anderen Seite gibt es die unterschiedlichen Wichtigkeiten der Rastafaris, die alle Jah als ihren Herrn anerkennen. Die Beziehung zu Jah kann jeder Rasta, egal ob einfacher Festival-Rasta oder Alpha Blondy persönlich, für sich selber finden. Einer alten Dame mit knielangen Dreadlocks muss er wohl erschienen sein, so wie sie unaufhörlich vom Rasta-Spirit durchdrungen gen Himmel strahlt. Dieter Möck hingegen ist nicht so einfach zu treffen, weil sich bald herausstellt, dass Dieter offenbar ein Phantom ist. Allerdings ein wirksames Phantom, um sich die Security-Combo "gefügig" zu machen: Jah und Dieter. Die beiden Schlüssel zum Glück. Ohne Jah und Dieter kämen wir hier vermutlich nicht in den Genuss gewisser Privilegien. Zum Beispiel bekommen wir tatsächlich Künstler vors Mikrofon, deren Musik Tausende begeisterter Fans hier feiern. Musiker wie Papa Curvin, der vor vierzig Jahren als Reggae-Pionier nach Deutschland kam oder eben der Jamaikaner Cocoa Tea.
"Take it from the rich and give it to the poor." "Robin Hood", der Bierspender
Für das Publikum und auch für die Presse sind Seed, Alpha Blondy, Shaggy und Co. zwar hier und jetzt, live auf der Bühne, aber dennoch in weiter Ferne und es ist schwer, den Stars ein wenig näher zu kommen. Wer ganz oben in der VIP-Hierarchie angekommen ist, empfängt nur noch auserwählte Gäste. Die ganz Großen der Reggae-Szene erweisen uns nicht mal die Ehre, eine Pressekonferenz zu geben. Die eigentlich wichtigen Menschen, die, die was zu sagen haben und zwar nicht nur, weil sie als "VIP/Artist" ausgewiesen sind, sondern weil sie mit ihrer Musik den Armen in der Welt eine Stimme geben.
Sie alle kennen Jah, aber sie kennen Dieter nicht, der sich auch für mich bislang im Verborgenen hält und dafür sorgt, dass alles reibungslos über die Bühne geht. Aber plötzlich steht er vor mir. Natürlich nicht "Dieter", aber der, von dem ich dachte, er hieße Dieter. Der der mir gewisse Vergünstigungen ermöglichte - ohne es vermutlich gewollt zu haben.
"Dieter" spricht nicht von "Jah Rastafari", sondern beschwert sich über einen "Robin Hood" unter den VIPs, der sich Bier aneignet, um es unter das Volk zu bringen. "Take it from the rich and give it to the poor", scheint sein Motto zu sein - und eines, das sich irgendwie für ein Reggae-Festival ganz im Sinne von Jah Rastafari eignen würde. Da aber stimmen Dieter und Jah eben doch nicht ganz überein. Und mit dem bierspendenden "Robin Hood" ist gleich auch noch eine weitere Kategorie "VIP" zu erkennen: die, die mit der Hundemarke gar nichts für sich persönlich erreichen wollen. Jah Rastafari!
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