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Raritäten und ein wunderbares Kabinettstückchen

Juliana Eiland-Jung
  • Do, 04. Juli 2024
    Offenburg

     

Unter dem Titel "Orient und Okzident" entführten Anna Adamik und Martin Merker ihr Publikum auf eine musikalische Reise. Ihr bewegendes Konzert wurde mit viel Applaus belohnt.

Virtuos: Anna Adamik am Klavier und Martin Merker am Cello  | Foto: Juliana Eiland-Jung
Virtuos: Anna Adamik am Klavier und Martin Merker am Cello Foto: Juliana Eiland-Jung
Finnland, Schweden und Norwegen vor der Pause, der Iran und die Türkei danach. So ordentlich hatten Anna Adamik (Klavier) und Martin Merker (Violoncello) ihr Programm mit dem Titel "Orient und Okzident" am Sonntagabend aufgeteilt.

Es blieb nicht dabei. Erst musste das Kreuzgangkonzert wetterbedingt in die altkatholische Kirche St. Mattias verlegt werden, und dann sortierte das in Offenburg bestens bekannte Musikerpaar die Reihenfolge der Stücke um. Gut so, denn so klang das Konzert stimmig mit einem Wiegenlied aus: Armas Järnefeldts "Berceuse" für Violoncello und Klavier. Eine wunderbare, tröstliche Melodie, ein kleines Lied in Strophenform, mit der gebotenen Zurückhaltung interpretiert. Die Berceuse fühlte sich an wie eine Zugabe. Denn die zuvor gespielte "Vier Städte"-Suite für Violoncello und Klavier des türkischen Pianisten, Komponisten und "Shooting-Stars der Klassikszene" (Merker) Fazil Say endet mit einem swingend-fröhlichen musikalischen Portrait der Urlaubsstadt Bodrum, von dem das Publikum regelrecht mitgerissen wurde. Dass das Verhältnis Says zu seinem Heimatland nicht unkompliziert ist – er wurde wegen "Verunglimpfung religiöser Werte" angezeigt, schließlich aber freigesprochen – zeigt der düstere Satz über die Hauptstadt Ankara.

Say lässt als Komponist keine Effekte aus: Anna Adamik zupft die Saiten des Flügels von Hand an oder verhindert deren Nachschwingen, Martin Merker lässt das Cello heiser hauchen wie eine Duduk-Flöte, oder nutzt sämtliche Teile des Bogens als Schlaginstrument. Say bedient sich bei Volksmusik und Jazz, bei Rock und Klassik – ein zeitgemäßer Spiegel der Türkei zwischen Tradition und Moderne.

Ein starkes politisches Statement setzte Barbara Heller mit ihrem 1989 komponierten "Lalai – Schlaflied zum Wachwerden?", das sie "allen persischen Frauen" widmete. Geschrieben für 50 vom Mullah-Regime ermordete Frauen, bezieht sich Heller musikalisch auf ein in den 1970ern entstandenen Widerstandslied gegen den Schah. Der Melodie sind über weite Strecken eintönige Ostinati unterlegt. Eine tickende Bombe, eine beunruhigende Anspannung, zunächst vom Klavier, später vom Cello aufrechterhalten – bis zum sehr leise ausklingenden, offenen Schluss.

Insgesamt war das Konzert jedoch keineswegs nur düster. Schon gar zu Beginn, als Martin Merker solistisch eine Komposition des Schwedischen Cellisten Svante Henryson darbot. "Black Run" ist der Beweis, dass Cello auch Country kann, Gospel, Blues und Folk. Martin Merker haut es raus, wie sich’s gehört. Technisch perfekt – und lässig dazu. Auch Anna Adamik hat mit "Reflections" ein Solostück dabei: der finnische Violinist Erkki Palola hat es ihr gewidmet – allerdings schon vor 20 Jahren, in denen das dreisätzige Werk in einer Schublade darauf wartete, nun in Offenburg uraufgeführt zu werden. Es klingt ein wenig wie eine Persiflage aufs Klavierüben – mit überraschenden Brüchen, Seufzern und schließlich mit dem Kommentar "oops" für ein vermeintliches Verrutschen auf der Klaviatur. Eine Bitte: Dieses wunderbare Kabinettstückchen nicht wieder in der Schublade versauern lassen, sondern ins Zugabenrepertoire aufnehmen!

Bei all diesen Raritäten und Besonderheiten bildet Edvard Griegs Sonate für Violoncello und Klavier den ruhenden Mittelpunkt des Konzerts. Vor allem der langsame Mittelsatz ließ fast vergessen, dass man im Konzert sitzt. Bei aller Virtuosität, die Merker und Adamik boten – die Tonkultur beider Interpreten kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Nach knapp zwei Stunden endete ein in vielerlei Hinsicht bewegendes Konzert mit großem Applaus.

Ressort: Offenburg

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